piwik no script img

Wir lasssen lesenWie Kolumbus im Arsch

■ Bekenntnisse der Lust am Hooliganismus – John Kings Frontroman „Der letzte Kick“

Das Thema Hooliganismus ist eigentlich ideal für einen Roman. Wenn die Protagonisten der Szene erzählen, ist das im weiten Sinne schon Literatur: Sie übertreiben maßlos und dichten kleine Scharmützel um zu legendären Schlachten, die mit jeder Nacherzählung noch glanzvoller werden.

Aber obwohl in England, wie die Zeitschrift When Saturday Comes spottet, mittlerweile eine „Hooligan-Buchindustrie“ entstanden ist und manche, die ihre Randale-Erlebnisse aufgeschrieben haben, kurzzeitig zu Medienstars geworden sind: Romane zum Thema sind rar. In Deutschland war bisher nur einer erschienen: „I Furiosi. Die Wütenden“ von Nanni Balestrini, der einst gemeinsam mit Umberto Eco die „Gruppe 63“ gegründet hatte. Seine Erzählung ist kunstvoll montiert aus Geschichten, die er Hooligans des AC Milan entlockt hat.

Jetzt liegt eine weitere Übersetzung eines Hooligan-Romans vor: „Der letzte Kick“ von John King, zu einem großen Teil ebenfalls aus der Perspektive eines Frontkämpfers geschrieben. Was für Ballestrinis zahlreiche Erzähler Milan ist, ist für einen Londoner Lagerarbeiter und seine Clique der FC Chelsea. Ihre Hingabe für den Club („Wir sind Chelsea“) treibt sie Wochenende für Wochenende in den Straßenkampf.

Während Ballestrini nie einen Bezug zum Fußball hatte, bevor er Milans Rotschwarze Brigaden traf, ist King verwurzelt in dem Milieu, über das er schreibt – obwohl er Jahrgang 1960 ist, also schon lange raus aus dem besten Hooligan-Alter. King läßt seinen Protagonisten Tom in einer ruppigen, rotzigen und gekonnt unfertigen Sprache erzählen. Es sind Geschichten aus einer unwirtlichen Welt, die schon ein paar U-Bahnstationen entfernt von daheim beginnt, zum Beispiel in Tottenham, wo die Spurs, die „Judenärsche“, zu Hause sind: „Eine schäbige Straße mit bröckelnden Mauern und kleinen, heruntergekommenen Gärten. Gammelnde Müllberge, die nicht abgeholt werden. Alles riecht nach Curry und modernden Schwänzen.“

Die Boxereien rund ums Match, die Vor- und Nachbereitung in der Kneipe – das ist sein Lebensinhalt. Die Polizei ist in diesem Spiel „auch bloß 'n Mob“, allerdings schlimmer als alle anderen: „Die Bullerei ist der unterste Abschaum der Welt... Noch unter Niggern, Pakis, Judenärschen, sonstwas, weil die sich wenigstens nicht hinter Uniformen verstecken.“

Solche Kapitel vor der Front wechseln ab mit Skizzen aus Toms deprimierendem sozialen Umfeld, in dem jeder auf seine Art vor der Realität flüchtet. Die einen malen sich in feuchten Tagträumen aus, sie seien befreundet mit Lady Di und besäßen einen Fußballklub, die anderen suchen ihr Heil im Spiritismus. Mit der Revue der Randale ist der zweite Handlungsstrang, erzählt in der dritten Person, eher lose verzahnt. Berührungspunkte ergeben sich, wenn Tom schwadroniert, daß für den kleinen Krieg am Samstag nachmittag dieselbe Maxime gilt wie für den großen Überlebenskampf in der neoliberalen Welt: „Die Schwachen machen's in diesem Land nicht lange. Wer sich nicht selbst helfen kann, dem wird auch nicht geholfen... Echte Steinzeitgesellschaft, und der mit dem größten Felsbrocken gewinnt.“

Sich diesem Stil zu entziehen, fällt schwer. Die Bekenntnisse zur Lust an der Gewalt lassen sich mit Lust lesen, ohne daß man dabei mit den Protagonisten zu sympathisieren beginnt, geschweige denn die vermeintliche Faszination ihres Handelns entdeckt.

In den besten Momenten erinnert King an HipHop-Texter, die aus reiner Lust am Fabulieren sich zu einer Person der Weltgeschichte stilisieren: „Wir stehen am Rand des Abgrunds, und gerade im Londoner Süden ist es verdammt weit bis nach unten... Wir kommen uns vor, als würden wir mit Christoph Kolumbus am Rand der Welt gegen den Strom segeln, und wenn du an Fahrt verlierst, bist du im Arsch.“ Tom rekapituliert hier bloß eine Straßenschlacht in Millwall. Aber es ist eine ganz besondere – sie droht sein „letzter Kick“ zu werden. René Martens

John King: „Der letzte Kick“. Manhattan bei Goldmann 1999, 382 Seiten, 22 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen