■ Wir lassen lesen: Kaiser Franz, der Underdog aus Giesing
„Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie mich mit anderen Augen sehen“, verspricht Franz Beckenbauer im Vorwort seiner Autobiographie. Und er hat recht. Möglicherweise werden ihn die Leute jedoch nicht mit den Augen sehen, die der Autor selber sich wünscht.
„Einer wie ich“, hatte Beckenbauer, der kenntnisreich und kompetent wie kaum ein anderer über den Fußball zu plaudern vermag, vor etlichen Jahren sein erstes Selbstporträt genannt, wesentlich selbstbewußter und kategorischer kommt der neue Schmöker daher: „Ich. Wie es wirklich war“. Doch wer angesichts dieses verheißungsvollen Titels die Aufdeckung verborgener Skandale erwartet, die schonungslose Aufklärung dunkler Machenschaften bei DFB, Bayern München, Cosmos New York oder im Hause Beckenbauer, liegt völlig falsch. Das Buch ist mitnichten eines der Enthüllungen, sondern rankt sich um ein mit gebetsmühlenhafter Penetranz wiederkehrendes Thema: die Selbstverteidigung des Franz Beckenbauer gegen vermeintlich ungerechte Kritiker, gegen böswillige Neider und gegen die eigenen Minderwertigkeitskomplexe.
Egal, worüber sich der Autor gerade ausläßt, stets schwingt zwischen, neben, über, unter oder auch in den Zeilen die gleiche Botschaft mit: der Fußball ist gut, Bayern München ist gut, Franz Beckenbauer ist gut. Ein Schuft, wer anderes darüber denkt – oder womöglich gar schreibt. Hinter der Attitüde weltmännischer Gelassenheit und konfuzianischer Weisheit steckt nämlich ein äußerst verletzbarer und zudem sehr nachtragender Mensch. Akribisch zerrt er mißliebige Spiegel-Zitate aus längst vergangenen Tagen zum Zwecke sofortiger Widerlegung aus der Versenkung, geißelt Anwürfe aus drei Jahrzehnten von „selbsternannten oder echten Intellektuellen“ – bevorzugt des Tübinger Rhetorikprofessors Walter Jens, dem er eine besondere Verachtung seiner Person und dem FC Bayern München gegenüber nachsagt – oder verfolgt Leute, die ihm einmal übel mitgespielt haben – Paul Breitner, Udo Lattek und Uli Hoeneß in den guten, alten Bayernzeiten etwa – mit unbarmherzigem Groll. Ein Kaiser verzeiht nicht, vor allem nicht, wenn es um jene Obsessionen geht, die ihm besonders zu schaffen machen.
Mag er noch so ausgiebig mit der High-Society geflirtet haben, im Grunde seines Herzens scheint es Franz Beckenbauer, der Golfspieler, Firmenrepräsentant und weltgewandte Parlierer, nie geschafft zu haben, jenem Giesinger Arbeiter- und Kleinbürgermilieu, dem er entstammt, wirklich zu entrinnen. Wie ein Usurpator, der sich den Kaiserthron unter den Nagel gerissen hat und fortan mit allen Fasern danach trachtet, als vollwertiger Blaublütler anerkannt zu werden, scheint sich auch der Fußballkaiser als ewiger Eindringling in jener mondänen Welt der „mächtigen, berühmten und erfolgreichen Menschen“ zu fühlen, in der er bewunderte Leute wie Mick Jagger, Henry Kissinger, Luciano Pavarotti, die Begum, Franz-Josef Strauß oder den ein wenig aufdringlichen Rudolf Nurejew kennenlernen durfte. Wie gern möchte er einer von ihnen sein – aber er ist ja nur ein armer, kleiner Fußballer.
Und so kämpft er Seite für Seite verzweifelt um eine Anerkennung, die ihm in Wirlichkeit längst zuteil geworden ist und die niemand ernstlich in Frage stellt – außer diesem vermaledeiten Giesinger in ihm selbst. Er polemisiert mit penetranter Ausdauer gegen das schon lange überholte Vorurteil, daß Fußballspieler nichts im Kopf haben als Horrorvideos und Schafkopfkarten, und verteidigt sein Recht auf einen sozialen und geistigen Aufstieg, der ihn von „Jerry Cotton zu Konfuzius“ führte, ihm selbst aber nach wie vor suspekt ist.
Die neuen Horizonte, die er bei seinen Reisen über Klassenschranken und Landesgrenzen hinweg gefunden hat, kollidieren mit der geistigen Enge, von der seine Sozialisation zumindest partiell geprägt war. Beckenbauers Intellektuellenschelte ist geprägt vom typischen Ressentiment des gesellschaftlichen Underdogs, sein fast manisches Betonen der ungeheuren Arbeit, die hinter den Erfolgen des so schwerelos und elegant wirkenden Fußballästheten steckt, vom Ethos des wacker schuftenden Arbeitsmannes. Seine Haltung zu den Reichen und Noblen dieser Welt ist nicht die des ebenbürtigen Kosmopoliten, hat nichts von der frechen Souveränität etwa eines Boris Becker, sondern atmet die ehrfürchtige Bewunderung des Münchner Straßenfußballers, der vom sportlichen und sozialen Coming-out träumt.
Längst seiner Klasse entwachsen, wehrt er sich verzweifelt gegen den bittersten Vorwurf, zu der diese fähig ist: die Unterstellung, jemand wolle etwas Besseres sein. „Aura von Macht“, „Sonderrechte“, „Arroganz“ sind Begriffe, auf die er sofort abwiegelnd reagiert, eine Charakterisierung als „Symbol des Kapitalismus im Zeitalter der Refeudalisierung“ (Walter Jens) trifft ihn mitten ins Herz.
Noch harscher reagiert er, wenn Jens seine Münchner Bayern als „die Mächtigen, die Arroganten, die Reichen, die Bosse“ bezeichnet. Flugs schwingt er sich zum Anwalt der Fußballerzunft auf, verteidigt vehement ihr Recht auf Geldverdienen und „Gesellschaftsfähigkeit“. Die Befreiung vom „Geruch eines miefigen Milieus“, die Emanzipation der „Kurzen-Hosen-Klasse“ hat Beckenbauer auf seine Fahnen geschrieben; der gute, böse Stern, den er den Trikots der Nationalmannschaft verschafft hat, ist sein Ideal. Alles in Butter – wäre da nicht dieser Walter Jens. „Aber wie ich ihn kennengelernt habe in den Jahren, wird er das ganz anders sehen; wortreich erklären und mich widerlegen können. Denn er ist ja der Rhetorikprofessor.“ Und Beckenbauer nur ein armer, kleiner Fußballer aus Giesing. Matti
Franz Beckenbauer: „Ich. Wie es wirklich war“. Bertelsmann- Verlag 1992, 240Seiten, DM39,80; ISBN 3-570-02079-7
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