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■ Wir lassen lesenNekroromantik

Am 14. November 1956 gewann Rapid Wien im Achtelfinale des Europacups der Landesmeister mit 3:1 gegen die damals beste Vereinsmannschaft Europas, Real Madrid. 50.000 Zuschauer im Wiener Stadion erlebten den großen Auftritt eines Spielers, der alle Tore für die gastgebenden Hütteldorfer schoß. Sein Name: Ernst Happel. Auf den Tag genau sechsunddreißig Jahre später starb der Wiener 66jährig an Krebs.

Diese Koinzidenz von Toren und Tod findet sich am Beginn von „Das große Happel-Fußballbuch“ des ORF- Rundfunk-Sportchefs Heinz Prüller. Aber was interessant beginnt, das haben uns die alten Meister ja immer gelehrt, muß nicht unbedingt gut aufhören bzw. Gutes enthalten. Daß die alten Meister immer Recht haben, weiß der Autor auch: „Was Happel sagt, gilt offenbar immer“, kommentiert Prüller, angewest wie der Heideggersche Dackel. Eben. Deswegen hätte er sich lieber auf die wesentlichen O-Töne aus den oft geführten Interviews beschränken sollen, anstatt in hoher Auflösung doch immer nur das gleiche sagen zu lassen. Desgleichen nervt die etwa tausendfache Deklination des Begriffs „Totaler Fußball“. Das geht einfach zu weit.

Klingt so, als könne man sich die Anschaffung sparen. Denn was bleibt eigentlich noch? Bilder und Handschriften! Erstmals werden Happel-Faksimiles präsentiert. Da finden sich dann zwar auch wieder Buchstaben, aber eben keine aus Schreib- oder Setzmaschine, sondern von Happels Hand: „Das ist alles machtbar...“, läßt er uns wissen. Bei ihm „kommen“ die Spieler manchmal auch in „brenzliche“ Situationen. Und man erhält wüste syntaktische Mixturen aus deutsch-wienerischen, holländisch-belgischen und spanischen Brocken.

Lustig ist das schon, aber die unschlagbaren, absoluten Highlights des Buches sind die Happelschen Nachdrucke selbstillustrierter Übungen mit handschriftlichem Text („Steil durch Mitte“; „Vorstoß aus der Tiefe“). Das ist was für den Connaisseur: Zeichnungen von einstudierten Spielzügen mit stürmenden Außenverteidigern, wunderbaren Positionswechseln und Blockstellen; erinnert an die legendäre Ästhetik der Bild-Comics, die wichtige Tore immer viel besser erklärt haben als ihr Begleittext.

Mit Nekroromantik (allerdings noch kitschiger als zu Beginn) erlöst uns Prüller dann am Ende. Vorgetragen von Happels Ex-Schützling Jimmy Hartwig (damals noch an den eigenen Krebstod glaubend): „Im Himmel wartet Ernst Happel auf mich.“ Will man das (alles) lesen? Vielleicht. Zumindest mal ausleihen in der Bibliothek um die Ecke. Immer noch besser als dem Kaiser seins. Thomas Lötz

Heinz Prüller: „Das große Happel-Fußballbuch“. Orac- Verlag, Wien/München/Zürich, 1993, 200 Seiten, 39,80 DM

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