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Wir lassen hörenMonsieur Genius

■ Bescherung für United-Fans: „Cantona – The Album“

26 lange Jahre lang hat Manchester United auf die englische Meisterschaft gewartet. Dann kam Eric Cantona. Der Franzose hat in England die traditionell chauvinistische Einstellung verändert. Ohne den französischen Nationalspieler wären britische Vereine niemals bereit gewesen, riesige Ablösesummen für Ausländer zu zahlen. Ohne Cantona hätte es keinen Klinsmann in Tottenham gegeben. Jetzt gibt es die Platte zum ersten Ausländer, der Spieler des Jahres in England wurde, zum Kickboxer, Hobbyphilosophen und Weltklassestürmer Eric Cantona.

Und da sind Radioschnipsel drauf. Jede Menge. Kinder üben den immer wiederkehrenden Fangesang „Ooh-Ah, Cantona“, United-Manager Alex Ferguson erzählt, George Best spricht über seinen Nachfolger als Vorzeigeexzentriker, natürlich „The Grand Old King Eric“ höchstselbst, und immer wieder Radioreporter („Watch this fantastic goal. O la la, says Cantona.“). Und kleine, inszenierte Hörspiele wie das, in dem der Vater einer Familie von traditionellen Manchester-City-Fans daran verzweifelt, daß seine Tochter ausgerechnet Cantona über dem Bett hängen hat.

Und da ist auch Musik drauf. Im Gegensatz zu den inflationären Tribute-Alben, auf denen mehr oder weniger bekannte Musiker Songs eines Helden covern, huldigen hier völlig Unbekannte dem „Monsieur Genius“. Mit einer Ausnahme: Captain Sensible verkneift sich allerdings das Singen und hat nur eine Collage über einem recht einfallslosen Beat beigesteuert. Mit Abstand das schlechteste Stück der Platte.

Dem Rest ist der Musikstil egal, aber der Gegenstand heilig. Schon das einleitende Chanson eines gewissen Raymond Bizarre kriegt sich kaum noch ein. Träger, dahinschleppender Rhythmus, Flöte und Quetschkommode schwingen sich auf zu einem emphatischen „Merci France pour Eric Cantona“. Später folgt noch eine zweite, englische Version desselben Stücks. „Ooh-Ah, I'm sorry“ bedient sich Samples von Cantona-Originaltönen und der großen Tradition britischen Synthie-Pops. Zu einem psychedelischen Tänzchen mit „(Be Like Eric) Do The Frog“ lädt Louis Philippe ein, und wer immer das ist, er weiß, wie LSD buchstabiert wird. Die Half Time Oranges, hinter denen sich The Felt oder Echo and the Bunnymen oder beide verstecken zu scheinen, bitten herzerweichend „Eric (Please Don't Go)“. Das Größte aber ist „Cantona Superstar“, eine Hymne wie von Andrew Lloyd Webber geschrieben und gesungen von Shirley Bassey, die endlich ausspricht, was vorher nur zwischen den Zeilen und Tönen zu hören war: „Eric, I love you, won't you come to my arms?/ Surround me with all your Gallic charms?“ Die restlichen Songs sind manchmal arg schräge Fangesänge aus dem Stadion Old Trafford, mit Rhythmus unterlegt und mit zusätzlichen Versen versehen von einem gewissen Pete Boyle.

„Cantona – The Album“ ist eine Huldigung mit den Mitteln der Dokumentation und Musik, die man sich getrost anhören kann. „1966 war ein großartiges Jahr für den englischen Fußball“, steht auf einem Manchester-United-T-Shirt, „Cantona wurde geboren“. 1995 war ein großartiges Jahr für den englischen Pop. Nicht unbedingt wegen dieser Platte, aber sie fällt nicht unangenehm auf. Thomas Winkler

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