■ William Pfaff, Europakorrespondent der „International Herald Tribune“, zu Deutschland, Europa und Nationalismus: „Nationale Gefühle sind wichtig“
taz: Wenn Sie den Ausgang der Wahlen in Ihrem Heimatland ansehen: Was ist für Sie das Entscheidende?
William Pfaff: Ich sehe eine scharfe Wende nach rechts. Für die Außenpolitik gilt, daß Clinton keine klaren Ziele hatte, seine Energien richtete er auf die Innenpolitik. Es wird sich einiges ändern: grundsätzlich mehr Isolationismus, wahrscheinlich mehr wirtschaftlicher Egoismus. Die Wahlen bedeuten auch eine Rückkehr zu einer älteren amerikanischen Philosophie der Konzentration auf eigene Probleme. Viele Amerikaner geben sich dem Gefühl hin, daß sie und das Land sich selbst genügen. Der Rest der Welt erscheint ihnen als eine einzige große Bedrohung: Man läßt sich besser nicht mit ihr ein.
Wenn sich die USA mehr auf die eigenen Probleme und in Außenpolitik auf die Nachbarstaaten konzentrieren, verliert dann Europa für die USA an Bedeutung?
Das wird wahrscheinlich so kommen, und das ist auch unausweichlich. Europa kann sich nicht ewig auf den Schutz der USA verlassen. Asien wird wegen seines enormen wirtschaftlichen Wachstums in den USA sehr genau wahrgenommen. Es ist nicht wichtig, daß das Bruttsozialprodukt Chinas ungefähr so groß ist wie das von Spanien. Was zählt, ist diese riesige Bevölkerung. Die Amerikaner glauben, da müsse eine Wirtschaftskraft wie die Europas dahinterstehen. Immer öfter ist zu hören, Europa sei nicht mehr wichtig.
Die Amerikaner nahmen Anteil am Schicksal Europas, solange es die sowjetisch-russische Bedrohung gab. Viele Amerikaner sehen Jugoslawien als europäisches Problem, wie ich meine, zu Recht. Die Frage stellt sich doch: Warum kann Europa dies nicht lösen? Die Europäer selbst müssen sich mehr zu ihrer Verantwortung für das bekennen, was auf ihrem Kontinent passiert, müssen eine eigene Außenpolitik entwickeln.
Wie sollte das Ihrer Meinung nach gehen?
Das ist eines der großen Probleme Europas für die Zukunft: Die Gemeinschaft sagt, sie will eine gemeinsame europäische Außenpolitik, aber es ist schwer, sich vorzustellen, wie Frankreich, Deutschland, Italien, Schweden und die anderen Länder alle eine gemeinsame Außenpolitik betreiben sollen, sofern es nicht um ein Thema, um eine Bedrohung geht, die alle betrifft.
Ist der Krieg in Ex-Jugoslawien keine solche Bedrohung?
Ich würde nicht sagen, die Europäer hätten verschiedene Interessen, denn alle wollen den Krieg beenden. Aber sie haben verschiedene Wahrnehmungsweisen und unterschiedliche Vorstellungen davon, wie das geschehen sollte. Deutschland meinte, das Richtige sei gewesen, den Zerfall anzuerkennen, Frankreich wollte die Konföderation zusammenhalten. Es gab keine gemeinsame Politik, und das Ergebnis sehen wir ja jetzt.
In Ihrem neuen Buch behaupten Sie, daß Deutschland vor seiner Verantwortung für die Geschichte nach Europa flüchte und daß die Deutschen versuchten, zu vergessen, indem sie Europäer würden.
Teil Europas zu werden, bot den Deutschen scheinbar einen Ausweg aus dem Drama des deutschen Nationalismus an. Ich denke, daß Deutschland eine ganz normale europäische Demokratie ist. Aber es hat noch seine Erinnerungen. Ich frage mich, ob es in Deutschland nicht einen Wandel zu einer skandinavischen Weltsicht gegeben hat. Die historische Erfahrung der deutschen Nation soll ausgesperrt werden, und die Zukunft heißt Europa. Das Problem kann natürlich sein, daß es zu diesem Europa nicht kommen wird.
Sie sagen auch in Ihrem Buch, in der intellektuell-akademischen Diskussion über Nationalismus würden die emotionalen Bindungskräfte vernachlässigt, die eine Nation bietet. Was heißt das?
In den meisten Debatten wird Nationalismus wie ein künstliches Phänomen behandelt, als ein Übel, eine Verirrung, ein Fehler, den der Fortschritt der Geschichte überwinden wird. Aber das ist meiner Meinung nach eine Fehleinschätzung. Nationalismus ist nicht nur ein Phänomen des Nationalstaats des 19. Jahrhunderts. Wir sehen heute in Europa die Entwicklung übernationaler Systeme. Aber sie entfalten keine emotionale Bindung. Es wäre also ein Fehler, die Bedeutung nationaler Gefühle nicht ernst zu nehmen.
Die Entwicklung Europas seit der Zeit Adenauers und Monnets verlief so, daß es wirtschaftliche Reformen und Vorgaben gab und die politischen Konsequenzen folgen sollten, etwa bei der Schaffung des gemeinsamen Marktes. In Maastricht wurde dieses Prinzip dann umgekehrt: die Politiker sprangen vorneweg und entwarfen den Plan eines Bundesstaates Europa. Die Folgen waren katastrophal, gerade kleinere Nationen wurden abgeschreckt. Man darf die nationalen Gefühle nicht geringschätzen.
Nationalismus ist in meinen Augen ebenso gut wie schlecht. Er war die Kraft, die das kommunistische System in Osteuropa überwunden hat. Die Ungarn, Polen, Rumänen waren nie gewillt, sich Rußland zu unterwerfen. Es war auch Nationalismus, der gegen das nationalsozialistische System kämpfte und es schließlich zerstörte. Es war der Widerstand des britischen Nationalismus, des holländischen Nationalismus und des französischen Nationalismus von General de Gaulle, der im Ausland die Fahne seiner Nation hochhielt und schließlich zurückkehrte.
Heißt die Aufgabe von Politikern Ihrer Meinung nach also, den Tiger Nationalismus zu reiten?
Das kann man so sagen. Politiker müssen versuchen, in konstruktiver Weise von den Kräften des Nationalismus Gebrauch zu machen.
In Deutschland gibt es eine Diskussion über Verfassungspatriotismus. Kann der Stolz auf Werte des Grundgesetzes und auf die Demokratie nicht auch emotionale Bindungskräfte entwickeln?
Man kann solche Gefühle nicht künstlich produzieren. In Amerika schließt Nationalismus den Stolz auf das Land ein, in dem man geboren ist, und den Glauben, das eigene Land sei das größte. Aber die Basis des amerikanischen Nationalismus ist der Stolz auf die amerikanische Verfassung.
Sie beschäftigen sich auch mit dem Problem der Staatsbürgerschaft. Wer in den USA geboren wird, erwirbt auch die Staatsbürgerschaft. In der Bundesrepublik dagegen gilt das Gesetz der Abstammung.
Das ist in meinen Augen absurd. Jemand, der nicht in Deutschland geboren ist und nicht Deutsch spricht, hat mehr Aussicht, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben als der Sohn eines Gastarbeiters, der in Deutschland geboren ist und keine andere Sprache als Deutsch spricht. Die Deutschen haben sich seit Bismarck nach den Kriterien von Rasse definiert. Das ist eine romantische Fiktion. Rassen und Nationen lassen sich nicht zur Deckung bringen. Der moderne, liberale Staat macht die Vergabe der Staatsbürgerschaft abhängig von der Akzeptanz der Werte, auf die er gegründet ist. Die deutsche Praxis des ius sanguis ist in meinen Augen vormodern. Interview: Hans Monath
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