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Wilfried N'Sonde im Montagsinterview"Herkunft ist kaum noch wichtig"

Wilfried N'Sonde ist Musiker und Schriftsteller - und Sozialarbeiter in Charlottenburg. Deutschland muss seine Minderheiten anders behandeln, fordert er: "Dieses Zuhause muss geteilt werden."

taz: Herrn N'Sonde, als Kind sind Sie aus dem Kongo nach Frankreich gezogen. Warum?

Wilfried N'Sonde: Mein Vater ist Künstler. Er hatte ein vierjähriges Stipendium für Paris bekommen und konnte Frau und Kinder mitnehmen. Er ist ein sehr neugieriger Mann und wollte gerne, dass wir im Ausland leben, die Welt sehen. Er selbst war in China, Korea, Jugoslawien und wollte, dass auch wir Kinder mehr als den Kongo sehen.

Dorthin ist Ihre Familie nach den vier Jahren aber nicht zurück gekehrt.

Nein. Warum, müssen Sie meine Eltern fragen.

Und Sie sind nach Berlin gekommen. Wieso?

Zum ersten Mal war ich 1988 in Berlin, ich war damals mit Interrail in Europa unterwegs. Die Stadt fand ich schön - nein, nicht schön, eher cool. Man fühlte sich frei hier. Danach bin ich oft hergekommen.

Fühlten Sie sich in Paris nicht frei?

Nicht so wie in Berlin. Es war damals in Paris nicht so leicht, eine Wohnung zu finden, wenn man dunkelhäutig war. Das galt auch für Jobs: Man konnte bei McDonalds arbeiten, aber sonst? Man fühlte, dass man Franzose zweiter Klasse war. Deutschland war einfacher für mich: Hier wusste ich von Anfang an, ich bin Ausländer. So konnte ich gewisse Ungerechtigkeiten leichter akzeptieren. Aber wenn man Franzose in Frankreich ist und trotzdem wie ein Ausländer behandelt wird, dann ist das schwierig zu ertragen. Gerade wenn man jung ist.

Warum?

Man lernt in der Schule, alle Menschen seien gleichwertig, egal welcher Rasse oder Religion sie angehören. Und sieht dann: Das, was man in der Schule lernt, wird draußen nicht umgesetzt. Das ist ein Problem. Eine Demokratie sollte sich solche Doppelmoral nicht erlauben. Sonst fangen die Leute an, das ganze System in Frage zu stellen.

Der junge Protagonist Ihres Buches - hat er mit Ihren persönlichen Erfahrungen zu tun?

Er ist so etwas wie mein Negativ. Ich habe mit dem gespielt, was ich für mich nicht wollte. Ich wollte nicht im Knast landen. Ich wollte nicht versagen. Und sein Weg ist der Weg von jemandem, der das nicht schafft. Es ist ein Weg nach unten. Er kommt nicht klar, und ich kenne das, dass man nicht klarkommt. Ich habe aber das Beste daraus gemacht. Das hat er noch nicht geschafft.

Hatten Sie als junger Mann Angst, dass Sie auch diesen Weg nach unten gehen könnte?

Ja klar! Das geht schneller als man denkt. Eine Schlägerei, die etwas heftiger wird, und schon landet man im Knast. Oder man kommt auf die Idee, mit Drogen zu dealen. Dann hat man schon einen Fuß im Gefängnis.

Viele Menschen wachsen auf, ohne je in Gefahr zu geraten, in den Knast zu kommen.

Dann haben sie Glück.

Ist das eine Frage von Glück?

Wahrscheinlich nicht. Aber solche Leute kannte ich wenig. In meinem heutigen Leben, klar, da müsste einiges passieren, bis ich im Knast lande.

Der Protagonist Ihres Buches vermittelt den Eindruck, zwischen zwei Polen festzuhängen: Auf der einen Seite der Vorfahr, der die alte Heimat verkörpert; auf der anderen Seite die neue Gesellschaft, in der er aufwächst, die ihn aber nicht als zugehörig anerkennt. Ist auch das Ihre eigene Erfahrung?

Das ist das Hauptding, das Wichtigste. Da stecken ganz viele Sachen drin, zum Beispiel diese Vorstellung von alt und neu. Man erzählt uns, dass es darum ginge. Man erzählt uns, was wir mitbringen, sei alt, und wir kämen nach Europa in die Modernität. Das ist Quatsch. Der Ahnenkult zum Beispiel ist nicht älter oder unmoderner als der Katholizismus. Das Christentum erzählt uns, dass eine Frau, die Jungfrau war, ein Kind bekommen hat, was nach der modernen Wissenschaft ziemlich unwahrscheinlich ist. Es ist auch nicht modern.

Aber es gibt doch Unterschiede zwischen der Gesellschaft, aus der Sie kommen, und der, in die Sie kommen.

Natürlich tauchen Fragen auf, wenn man aus dem Kongo nach Frankreich oder aus Paris nach Berlin kommt. Man wird mit Sachen konfrontiert, die man nicht kennt. Das setzt einen Prozess in Bewegung, einen Prozess der Veränderung, der aber zwei Seiten betrifft. Ich komme zu Ihnen - das verändert Sie auch. Keiner von uns beiden bleibt, wie er war. Wir bewegen uns gemeinsam auf einem Weg. Das ist etwas, was hier häufig nicht gesehen wird. Auch der Protagonist meines Buches erkennt diese Situation nicht so, wie sie ist.

Inwiefern?

Die einen sagen ihm, er solle sich anpassen: "Wir bleiben, wie wir sind und du musst wie wir werden." Die anderen sagen ihm: "Du bist gar nichts mehr, weil Du nicht mehr wie wir bist." Er fühlt sich, als würde er irgendwo dazwischen hängen. Und weil er das so akzeptiert, geht es ihm schlecht. Aber die beiden irren sich. Er hängt nicht sonstwo. Er ist in Bewegung. Und was die anderen nicht wissen: Auch sie sind in dieser Bewegung. Die Ideologie darüber ist aber eine andere.

Hätten Sie Ihr Buch anders geschrieben, wenn es in Deutschland, in Berlin spielte?

Nein. Was im Charlottenburger Kiez oder in Kreuzberg passiert, ist sehr ähnlich wie das, was in Pariser Vorstädten los ist.

Wann schreiben Sie denn ein Buch, das in Berlin spielt?

Ich werde ein Buch schreiben, das die Geschichte meiner Band in Berlin erzählt. Diese Zeit, 1991 bis 1996, war besonders. Ich bin froh, dass ich sie miterlebt habe.

Sie spielten Afro-Punk - was ist das?

Erst habe ich jahrelang mit meinem Bruder im Keller gespielt. Dann bastelten wir aus einigen Liedern ein Demo-Tape und gingen nach Mitte und Prenzlauer Berg. Dort hieß es: "Was für Musik macht ihr?" Wir sagten: "Hör rein, wenn es dir gefällt, dann spielen wir. Wozu einen Namen!" Aber wir wurden immer wieder gefragt und sagten dann schließlich: "Afro-Punk." Das klang irgendwie interessant, keiner wusste, was es war, und wir waren frei.

Haben Sie damals auch im Osten gespielt?

Ja, in Magdeburg, Dresden und Hoyerswerda - für drei Dunkelhäutige war das echt ein Ding. Das war immer Kampfmusik, wir wollten zeigen, dass wir da sind - Skinheads hin oder her. Einmal spielten wir in einem Jugendzentrum in Zöblitz, einem Kaff in Sachsen, da sind nur Berge. Da hätten auch 100 Skinheads da sein können und wir wären tot gewesen. Aber die Jugendlichen, die kamen, waren super drauf. Wir haben unser Programm zweimal gespielt und hatten eine geniale Party.

Spielen Sie immer noch Afro-Punk?

Mein Bruder und ich nennen das, was wir jetzt machen, Chansons. Ich genieße das Intime, das Ruhige bei Chansons. Entweder entsteht etwas zwischen Publikum und uns oder nicht und die Leute können gehen. Wenn man Afro-Punk macht, ist es so laut, man sieht nicht mal die Menschen, man zappelt die ganze Zeit. Letztlich ist der Austausch nicht so intim, nicht so intensiv. Man wird älter und will nicht mehr so laut und schnell sein.

Heute arbeiten Sie als Sozialarbeiter mit Jugendlichen, die Schwierigkeiten mit Polizei und Justiz haben. Auch mit solchen aus Einwandererfamilien?

Ich arbeite mit Jugendlichen aus Charlottenburg. Ihr Pass oder wo sie herkommen, ist mir egal. Das sind hier aufgewachsene Jugendliche, Berliner. Städte wie Berlin oder Paris haben sich in den letzten Jahren so verändert, dass Herkunft kaum noch wichtig ist. Meine Kinder sind geborene Berliner, aber ich bin aus Kongo, ihre Mutter aus Westfalen. Ich kenne kaum Berliner, die nicht eingewandert sind. Spielt es wirklich eine so große Rolle, ob man aus Bayern ist oder von ein bisschen weiter weg?

Vielleicht hätte der Vorfahr in Ihrer Geschichte eine andere Botschaft wenn er aus einem anderen Kulturkreis käme?

Der hat auch dann schon eine andere Botschaft, je nachdem, ob man aus Zehlendorf oder Wedding kommt. Es ist eine Illusion zu glauben, ich bin Deutscher in Deutschland und begegne einem Deutschen in Deutschland und wir sind auf dem gleichen Level. Das ist Quatsch. Aber es beruhigt die Menschen, das Gefühl zu haben, zu einer Gruppe zu gehören. Außerdem: Am Klausener Platz sind 45 Prozent der Anwohner Einwanderer. Auffällig werden vielleicht 50 junge Männer. Die restlichen leben in Frieden, erziehen Kinder, lernen Berufe, gehen spazieren. Man weiß, wie schwer es mit jungen Männern zwischen 15 und 20 ist. Da hat man nicht viel im Kopf. Aus mir konnte man auch nicht viel Tolles rausholen, als ich 17 war. Aber das heißt doch nicht, dass alle Einwanderer problematisch sind. Die typische türkischstämmige Familie hat Kinder, Jobs, lebt ganz normal. Darüber muss auch berichtet werden.

Natürlich sind die Jugendlichen alle Berliner. Aber sie stammen aus Familien mit verschiedenen Vorstellungen - etwa von Autorität.

Deutsche Erziehung heißt oft, nie "Nein" zu sagen. Das überträgt sich auch auf Schulen. Bei manchen arabisch- oder türkischstämmigen Eltern gibt's dagegen, wenn das Kind nicht spurt, eine Schelle. Wenn sie zu streng sind, rate ich Eltern, locker zu lassen. Aber ich finde es wichtig, Familienstrukturen zu erhalten. Wir sind als Erwachsene verantwortlich für die Kinder. Wir müssen ihnen Strukturen anbieten, einem Kind ganz klar "Nein" sagen können. Ohne es zu schlagen.

Haben Sie bei Ihrer Arbeit je selbst Rassismus erlebt?

Ich habe nie irgendein rassistisches Problem gehabt. Die Eltern vertrauen mir - vielleicht, weil ich nicht sage: Ich weiß, wo es lang geht. Sondern einen Weg anbiete.

Denken Sie, dass Unruhen von Jugendlichen wie in den Vorstädten Frankreichs auch hier passieren könnten?

Ja. Weil Deutschland seine Minderheiten falsch behandelt. Man muss endlich akzeptieren, dass die Einwanderer auch Berliner sind. Dass dieses Zuhause geteilt werden muss - unabhängig von Herkunft oder Religion. Die Verfassung erlaubt, dass man Moslem ist! Sie erlaubt auch, dass man einem Totenkult anhängt. An solche Prinzipien muss man sich halten. Denn wir sind Demokraten.

Das ist eine schöne Utopie, aber nicht die Realität.

Aber es muss Realität werden, sonst passieren Unruhen. Hier fehlt mir, dass man sich positiv für eine Veränderung der Gesellschaft stark macht. Immer muss man gegen etwas sein - gegen Nazis, gegen Rassisten. Aber für was sind wir letzten Endes? Schluss mit der Idee, wer neu dazu kommt, müsse sich integrieren. Das ist Quatsch! Wir schaffen gemeinsam etwas Neues, und jeder wird dabei gebraucht. Jeder bringt etwas dafür mit.

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