piwik no script img

Wiederaufbau in Gaza"Ich will das Geld der Hamas nicht"

Mühsam packt Gaza den Wiederaufbau an: Ganze Häuserblöcke sind zerstört, Vorräte aufgebraucht. UN und Hamas zahlen Direkthilfen an Ausgebombte - doch die mag nicht jeder annehmen.

Vielerorts geht es nur langsam vorwärts: Aufbauarbeiten in Rafah. Bild: dpa

GAZA taz Im Dreiminutentempo rücken die überwiegend jungen Männer ihre Kochgasflaschen jeweils ein paar Zentimeter weiter vor. Die Schlange zur Tankstelle in Jabalia, im nördlichen Gazastreifen, ist vielleicht hundert Meter lang. Bis der Letzte in der Reihe versorgt ist, werden Stunden vergehen. Wer schon fertig ist, hievt die jeweils zwölf Kilo schweren vollen Flaschen auf Eselswagen oder trägt sie einzeln auf der Schulter nach Hause.

Waffenruhe erneut gebrochen, während US-Gesandter Mitchell zu Besuch ist

Die Waffenruhe im Gazastreifen ist erneut von beiden Seiten gebrochen worden. Von dem Palästinensergebiet aus sei am Mittwochabend eine Rakete auf Südisrael abgefeuert worden, teilte die israelische Polizei mit. Die Rakete sei in Richtung Ofakim abgeschossen worden, sie habe aber ihr Ziel nicht erreicht. Die Verantwortung für die Tat übernahmen in einer Erklärung die Al-Aksa-Brigaden, der bewaffnete Arm der Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Im Gegenzug bombardierte die israelische Luftwaffe in der Nacht zum Donnerstag Ziele in der Nähe von Rafah im Süden des Gazastreifens. Dies sei die "Antwort" auf die auf Israel abgefeuerte Rakete, sagte ein Militärsprecher. Ziel des Angriffs sei ein Gebäude gewesen, in dem Waffen hergestellt würden. Die vor knapp zwei Wochen in Kraft getretene Waffenruhe war erstmals am Dienstag gebrochen worden, als ein israelischer Soldat bei einem Sprengstoffanschlag ums Leben kam. Um einen dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen, reist derzeit der neue US-Sondergesandte George Mitchell durch die Krisenregion. Nach einem Gespräch mit dem israelischen Regierungschef Ehud Olmert am Vortag traf er am Donnerstag Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah.

Die Familien in Gaza füllen ihre leeren Kochgas- und Wasserkanister. Sie legen sich neue Vorräte an. Seit Israel die Nahrungsmittellieferungen zulässt, sind die Läden wieder voll mit frischer Ware. Vier Wochen lang gab es kein Obst, kaum frisches Brot und sogar Wasser wurde in den Gegenden, die am meisten umkämpft waren, zur Mangelware. Das war im nördlichen Khan Younis, in Beith Lahia, am Stadtrand von Gaza und ganz im Süden, in der Grenzstadt Rafah der Fall, wo die Soldaten auf der Suche nach den Tunnels der Schmuggler ganze Häuserreihen zerbombten.

Die Zerstörung ist sonderbar konzentriert. Mal wurde ein komplettes Industrieviertel dem Erdboden gleichgemacht. Wie zusammengeklappte Kartenkäuser sehen einige Gebäude aus. Mal fehlt mitten in einer dichtbebauten Wohngegend nur ein einziges Haus, während rundum alles heil geblieben ist. Fast alle Ministerien wurden zum Einsturz gebracht und die Hauptquartiere der Polizei. Dort, wo das Haus stand, in dem sich der gezielt getötete Ex-Innenminister Said Siam befand, als die F-16-Piloten angriffen, spielen heute ein paar Kinder im Sand. Die Räumungsarbeiten funktionieren streckenweise sehr gut. In der Stadt Gaza selbst hinterlässt der Krieg rein äußerlich kaum Spuren.

Seit Anfang der Woche gehen die Kinder wieder in die Schule. Rund 50.000 Flüchtlinge hatten während des Krieges ihre Häuser und Wohnungen verloren und in den Schulen der UNRWA (UN-Flüchtlingshilfe für Palästina) Zuflucht gesucht. Wer keinen Unterschlupf bei Verwandten fand, bekam von der UN eine Soforthilfe von umgerechnet 150 Euro, um mit dem Geld eine Wohnung zu mieten. Eine kleine Gruppe wurde in einem Jugendzentrum untergebracht. Die Errichtung von Zeltstädten ist nicht geplant. Einzig neben einer Moschee wurde ein großes Zelt errichtet, mit Geldern der Hamas.

Die Hamas zahlt auch eine sofortige Direkthilfe von 4000 Euro an Familien, deren Häuser komplett zerstört wurden, 1000 Euro für jeden Toten und 500 pro Verletzten. Über Rundfunknachrichten kam die Meldung, man könne sich an eine Kommission wenden, um die Zahlungen zu beantragen.

"Ich will das Geld der Hamas nicht", sagt Dr. Samir el-Deeb trotzig. Der in Deutschland studierte Pharmazeut will sich "nirgendwo anstellen, um zu betteln". 3000 Euro veranschlagt er für den Schaden in seiner Wohnung. Dort haben mehrere Brandbomben ein riesiges Loch in die Decke gerissen und kaum ein Möbelstück unversehrt gelassen. Der Geruch von geschmolzenem Plastik liegt in der Luft. Die Wände sind mit einem dicken Rußfilm bedeckt. Nur das Fahhrad des ältesten Sohns hat fast nichts abbekommen. Rings umher liegen Schulbücher, angesengte Schranktüren, ein paar eilig zusammengerollte Teppiche, jede Menge bunte Plastikblumen und mehrere Koffer.

Zum Glück war die Familie el-Deebs schon vorher aus der sehr umkämpften Gegend Tel el-Hawa geflohen. Der 31jährige el-Deeb, Vater von vier kleinen Kindern, weiß nicht, wo er das Geld für die Renovierungen hernehmen soll. "Die Banken geben keine Kredite." Erst vor einem Jahr ist er aus Deutschland zurückgekommen und hat in der kurzen Zeit nichts sparen können. Vorläufig ist die Familie in einer kleinen Mietwohnung untergekommen.

Die Leute brauchen individuell schnelle Hilfe wie auch in großem Umfang vor allem in den breiträumig zerbombten Ortschaften, wo Strom- und Wasserversorgung brachliegen. Baumaterial, Zement und Glas wird gebraucht. "Die Folien, mit denen wir die Fenster zukleben halten nicht lang", sagt Dr. Fawaz Abu Setta, der wie el-Deeb Dozent an der Al Ashar Universität ist. Abu Setta, dessen eigenes Haus komplett zerstört wurde, ist Wirtschaftswissenschaftler und skeptisch, ob die Hilfe so schnell kommt, wie es nötig wäre. "Jeder (Hamas und Fatach) will das Geld durch seine Kanäle fließen lassen, denn Geld bedeutet Macht und Einfluss."

Schon in den ersten Nachkriegstagen forderte Saeb Erikat, PLO-Unterhändler bei den Friedensverhandlungen mit Israel, die internationale Hilfe erst nach Gaza zu schicken, wenn eine Versöhnung zwischen Hamas und Fatah erreicht ist, was vorläufig nicht absehbar ist. "Die Hamas wird nicht zulassen, dass die Fatach als der Aufbauer im Gazastreifen in Erscheinung tritt", fürchtet Abu Setta. "Sie muss selbst erst die durch den Krieg eingebüsste Popularität zurückgewinnen."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

5 Kommentare

 / 
  • D
    Dimitri

    Aber Florentine, Schweigen Sie doch bitte auch nicht von Dingen, die HAMAS betreffen.

  • F
    Florentine

    @MGM: Eigentlich sollten Sie sich besser informieren über die Lage. Ausser, Sie schreiben im Auftrag des israelischen Verteidigungsministeriums.

    Hören Sie auf mit dieser Farce 'besatzungsfreie Zone Gazastreifen'."Israel hat sich schon vor Jahren komplett aus dem Gazastreifen zurückgezogen". Ja, ja, und ihn in das größte Gefängnis der Welt verwandelt, völlig Israels Willkür ausgeliefert. Möchten Sie nicht darüber reden, dass Israel die Bevölkerung des Gazastreifens je nach Laune als Faustpfand benützt hat? Mal bekamen die Menschen Essen, dann wieder nicht... Immer wieder mal tötet Israel mitten in einem sogen. Waffenstillstand einen Menschen im Gazastreifen oder bombadiert ein Haus...Sie können über die Hamas gerne schimpfen, sie kritisieren. Aber schweigen Sie bitte nicht von den Dingen die Israel betreffen.

  • M
    MGM

    "TS" ist überhaupt nicht informiert. Israel hat sich schon vor Jahren komplett aus dem Gazastreifen zurückgezogen - warum spricht er trotzdem von "Besatzern"? Auch alle anderen Ausführungen in diesem Kommentar gehören ins Reich der Märchen.

     

    Zum Bericht möchte ich noch ergänzen, dass auch während der Kampfhandlungen täglich viele Tonnen Hilfsgüter von Israel in den Gazastreifen gebracht wurden. Leider wurden etliche Lastwagen von der Hamas beschlagnahmt, die Güter entweder selbst verwendet oder für teures Geld an die Bevölkerung verkauft.

     

    Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch noch darauf hinweisen, dass die Grenzübergänge zwischen Gaza und Israel keineswegs geschlossen sind, wie oftmals behauptet wird, sondern lediglich kontrolliert werden. Und dies zu Recht, wurden dadurch doch schon Hunderte (!) von Terroranschlägen vereitelt.

     

    Gruß

     

    MGM

  • M
    Marata

    Die Überschrift passt nicht ganz zum Inhalt des Artikels. Was tut eigentlich Israel für die Opfer seines Angriffes?

    Auf jeden Fall baut Israel weiter völkerrechtswidrig die Siedlungen im Westjordan-Gebiet aus. Nach Pressemeldungen hat die Bautätigkeit sogar letztes jahr um ca 60 % zugenommen. Israel möchte Tatsachen schaffen-und die 'Welt? Schweigt.

    Die Untersuchungen zu den Kriegsverbrechen, gibt's da was neues ... oder wird hier auch nur geschwiegen?

  • T
    t.s.

    Ergänzungen:

     

    Das - wie Frau Knaul behauptet - "Israel die Nahrungsmittellieferungen zulässt" ist nur bedingt korrekt, da die Besatzer nur einen Bruchteil der Güter passieren lassen, die nach Ansicht der UNRWA erforderlich wären, um die von ihnen so herbeigeführte Mangel- und Unternährung in Gaza zu beenden. Dementsprechende UNRWA-Studien dürften Frau Knaul bekannt sein. Das die Besatzer damit vorsätzlich gegen Artikel 4 der Genfer Konvention verstossen ebenfalls.

     

    Mit der Benutzung der zu den Sprachregelungen der Besatzer gehörenden Formulierung - "der gezielt getötete Ex-Innenminister" - macht sich Frau Knaul zu deren Werkzeug. Dies sollte sich - angesichts der Masse der in Gaza (gezielt?) getöteten und verletzten Zivilisten - von allein verbieten.

    Analoges gilt für die Versorgungstunnel in Rafah - eine der wenigen alternativen Versorgungsmöglichkeiten für die Bewohner Gazas - die Frau Knaul mit der Verwendung der Sprachregelung - "Tunnels der Schmuggler" - in den Bereich der Kriminalität zu rücken versucht.

     

    Dazu erzeugt Frau Knaul in dem Bericht den Eindruck, dass die Hilfe in Gaza ursächlich durch die Machtkämpfe zwischen der HAMAS und der Fatah gefährdet würde - und verschiebt auch damit die Verantwortung für die Katastrophe von den Besatzern auf deren Opfer.

     

    Insgesamt erhält der Leser bei Frau Knaul den Eindruck, dass in Gaza eine Art Naturkatastrophe stattgefunden habe. Dies entpricht nicht der Realität.

     

    MfG ts