■ Wie korrupt ist das britische Parlament?: Aktion saubere Hände in London
So war das nicht gemeint, Lord Nolan! Ein bißchen Schelte für die Unterhausabgeordneten ist ja schön und gut, aber mit einem umfassenden Verhaltenskodex für die ParlamentarierInnen hatte Premierminister John Major wohl kaum gerechnet, als er den Untersuchungsausschuß im vergangenen Jahr einsetzte. Sollten die 55 Vorschläge Gesetz werden, so käme das einer Radikalkur für das Parlament und die öffentlichen Dienste gleich – und die ist zweifellos vonnöten.
Vor gut einem Jahrhundert sagte der damalige Regierungschef William Gladstone, die (ungeschriebene) britische Verfassung „setze mehr als jede andere einen gesunden Menschenverstand und echte Redlichkeit bei denjenigen voraus, die diese Verfassung umsetzen“. Lord Nolan sagt in seinem jetzt veröffentlichen Bericht zwischen den Zeilen, aber deshalb nicht weniger deutlich, daß man davon am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr länger ausgehen kann.
Betrug und Korruption sind direkte Folgen des Thatcherismus, der die öffentlichen Dienste niedergemacht und statt dessen das Gewinnstreben des Individuums gelehrt hat. Es hat sich eine „Mentalität des schnellen Geldes“ durchgesetzt, wie der konservative Historiker Lord Blake zu Recht feststellt. Weil man dabei immer unverfrorener vorging, flog die Sache schließlich auf. Die Labour Party hat freilich nicht den geringsten Anlaß zur Häme: Auch sie ist mit dem Nolan-Bericht gemeint, hängt ihr Schattenkabinett und hängen viele ihrer Abgeordneten doch von den Gnaden der Gewerkschaften ab.
Major gebührt Lob dafür, daß er vor drei Jahren die bis dahin geheimen „Verhaltensregeln für Minister“ veröffentlicht hat – auch wenn es ihm dabei in erster Linie um Imageaufbesserung ging. So konnte Lord Nolan dieses Dokument als Grundlage für eine verbesserte Version nehmen, die Majors lauthals propagierten Vorstellungen von einer „Bürgercharta“ eigentlich recht nahe kommen müßte. Doch die Geister, die er gerufen hat, wird der Premierminister nun nicht mehr los. Als nächstes knöpft sich Lord Nolan die Parteienfinanzierung und die Kommunalverwaltungen vor. Außerdem will er seinen Ausschuß in einen ständigen Wachhund umwandeln, der ein scharfes Auge auf die Einhaltung des Polit-Knigge hat.
Lord Nolan hat den Vorteil, daß ihn niemand bremsen kann – die ParlamentarierInnen sind praktisch gezwungen, seine Vorschläge anzunehmen. Es nicht zu tun, würde signalisieren, daß man den Schmuddelkurs beibehalten will. Man kann nur hoffen, daß die Fraktionschefs eine freie Abstimmung zulassen. Dann wüßten die LobbyistInnen gleich, wer auch in Zukunft für Schmiergelder empfänglich ist. Ralf Sotscheck
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