Wie ich einmal durch das Buchungssystem der Deutschen Bahn gefallen bin: Mit Paul Breitner im Geisterzug
AM RAND
Klaus Irler
Kürzlich habe ich bei einem Telefonat mit der Deutschen Bahn mal wieder herzlich gelacht. Ich sprach mit einer Mitarbeiterin des Online-Service. Mein Problem: An einem Mittwochabend buchte ich online ein Ticket für eine Fahrt im Januar. Am darauffolgenden Tag wollte ich ein weiteres Ticket buchen für denselben Zug, wurde aber immer mit dem letzten Klick aus dem Buchungsdialog rausgeschmissen.
Die Frau sagte: „Es kann sein, dass der Zug gar nicht fährt. Das Ticket, das sie schon haben, können Sie umtauschen in einem Service-Center der Deutschen Bahn.“ Das fand ich lustig. „Gute Frau!“, rief ich. „Ich wohne am Hamburger Stadtrand. Ein Service-Center aufzusuchen, eine Nummer zu ziehen, zu warten, mein Problem vorzutragen und wieder an den Stadtrand zu fahren kostet mich einen halben Tag, optimistisch gerechnet.“ Das sah die Frau ein und verband mich mit dem Ticket-Service.
Ich könnte nun erzählen, wie ich in der Warteschleife vom Ticket-Service hing. Die Details spare ich mir. Es ging so aus: Ich habe nun ein Ticket für einen Zug, der voraussichtlich nicht fährt. Falls doch, kann ich mit meinem Ticket mitfahren.
Nun sehe ich mich am Abfahrtstag am Bahnsteig stehen, es ist übrigens der 1. Januar, und es geht um eine Fahrt von Bielefeld nach Hamburg. Bielefeld ist bekanntlich die Stadt, die es nicht gibt, und ich warte dort auf einen Zug, der nicht im Fahrplan steht, für den ich aber ein Ticket habe. Hat das Atmosphäre? Ich glaube schon.
Ich sehe also am 1. Januar in Bielefeld einen Zug einfahren, den nur ich sehen kann. Der Zugführer ist Paul Breitner, weil der am selben Tag Geburtstag hat wie ich. Die Wagen sind thematisch geordnet: Vorne, hinter der Lok, ist ein Wagen, in der meine E-Jugend-Mannschaft sitzt und sich bespricht, es ist die Halbzeitpause in dem Fußballspiel TSV Oberisling gegen ASV Undorf. Ich bin als Zehnjähriger mit dabei.
Einen Wagen weiter erfindet meine Band gerade einen neuen Song, es wird eine rotzige Punknummer mit ungeraden Takten und funky Bass. Ich bin 18 und die Freundin des Sängers sitzt mit Lärmschutzkopfhörern auf dem Proberaumsofa und lernt fürs Abitur.
Dann kommt ein Wagen, der aussieht wie eine WG-Küche. Es ist zwei Uhr morgens, die Küche ist voll mit Leuten, in einem Zimmer nebenan wird getanzt. Es gibt niemanden, der auf die Idee kommt, zum Rauchen vor die Tür zu gehen. Das Bier liegt in der Badewanne. Ich bin 25 und habe keine Uhr um.
Paul Breitner gibt gut Gummi, die Fahrt vergeht wie im Flug. In Hamburg fährt Breitner vom Hauptbahnhof direkt aufs U-Bahn-Gleis der U2 und wir halten in der Endstation Niendorf-Nord. Alle aussteigen! Außer mir ist niemand mehr da. Wo sind die nur alle hin?
Nur das Ticket habe ich noch. Ich gehe nach Hause und hänge es mir übers Bett – als Andenken an eine gute Reise.
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