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■ Wie das italienische Volk mit der Systemkrise fertig wirdWelch eine Demokratie!

Man stelle sich vor: Bayerns christsoziale Abgeordnete ziehen aus dem Bundestag und -rat aus und bilden ein „Parlament des Südens“; der Chef des Springer-Konzerns gründet eine eigene Partei, weil Christ- und Sozialdemokraten starke Wählerverluste einfahren und beginnt seine Politikkarriere mit einer großen Sympathiekundgebung für die „Republikaner“. Anschließend schießt er aus allen Rohren seiner Zeitungen und Kanäle unflätig auf Staatspräsident von Weizsäcker; zu allem Überfluß hängen sich noch mehr als 200 Volksvertreter querbeet an ein Mißtrauensvotum an, das die Minifraktion des Bündnis 90/Grüne gegen die Regierung eingebracht hat. Uns wäre allen klar: das Ende der Republik naht!

Genau das geschieht derzeit in Italien; doch das Ende der Demokratie sieht darob keiner kommen. Selbst als bei den Bürgermeisterwahlen vor zwei Wochen die Neofaschisten ansehnliche Stimmenanteile bekamen, sorgten sich die Italiener eher über das Ansehen im Ausland denn über einen grundlegenden Wandel in der Politik oder gar den Untergang der Demokratie. Ganz wie in den 60er und 70er Jahren, als ganz Westeuropa und Amerika vor einer „Machtergreifung“ der italienischen Kommunisten zitterte, versichern die Leute auf der Straße ebenso wie Staatspräsident Scalfaro: „Ma sono italiani anche loro“ – das sind doch auch nur Italiener, was wollt ihr!

Scalfaro hat sicher recht, wenn er beim Weihnachtsempfang der in Rom akkreditierten Botschafter darauf hinwies, wie gefestigt die Demokratie in seinem Lande sei: Italien hat sich bisher weder durch Rechts- noch durch Linksterrorismus aus dem Gleichgewicht bringen lassen, Selbst die Destabilisierungsversuche durch amerikanische, israelische und sowjetische Geheimdienste haben das nicht geschafft.

Allerdings muß man hinzufügen, daß „Demokratie“ eben auch ein relativer Begriff ist. Wer ein effektives, transparentes, in den öffentlichen Dienstleistungen funktionierendes System sucht, wird am „Modell Italien“ große Abstriche machen müssen. Doch das Volk hat sich an diese Gebrechen gewöhnt und mit ihnen leben gelernt. Es empfindet seine Demokratie nicht als so minderwertig, wie es ihm in den großen „perfekten Systemen“ angelsächsischer oder mitteleuropäischer Demokratietheoretiker ständig nahegelegt wird. Vielleicht ist es gerade das Unzureichende und nicht Perfekte, der Zwang zur ständigen Improvisation, der Italiens Demokratie davor bewahrt, bei jeder Erschütterung des Gleichgewichts sofort in Hysterie zu verfallen – und der sie so resistent macht angesichts der gegenwärtigen Krise. Werner Raith

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