Wie aus alten Zeiten: 'Bild'ungsbe–Weg–ung
■ Bessere Schulen, bessere Verhältnisse? Eine Diskussion über „Bildungswahn“ und Politik“
Schließlich beschlich nicht, sondern betrampelte einen das Gefühl, daß Professor Johannes Beck sein neues Buch „Der Bildungswahn“ (rororo aktuell) am Publikum vorbeigeschrieben hat. Jedenfalls an dem Publikum, das am Mittwoch zum Diskutieren in die Villa Ichon gekommen war (geströmt, wenn man das eher muffig anmutende Thema „Bildungswahn und Politik“ berücksichtigt). Hundert waren den Namen Beck, Gerhard Vinnai und Wilfried Gottschalch gefolgt.
Der Bremer Lehrerlehrer Beck hat in seinem bekannt erleuchteten Duktus, der dem Leser Lichtlein um Lichtlein aufsetzt („Bescheidwissenschaftler“, „Hoch- und Tiefschulen“, Er-Fahrung „im Sinne von Durchwanderung“) die Lage der Bildung analysiert und ist zu dem Schluß gekommen, daß die Erziehung nicht mehr ist, was sie war – nicht mehr Sache der Schulen und Unis, sondern der „wirklichen Verhältnisse“. Also habe es keinen Zweck mehr, über gute Lehrer und gute Schule zu reden; vielmehr sei jetzt wieder über Politik und Ökonomie zu sprechen. Eine neue Kapitalismuskritik muß her!
Sozialisationsforscher Wilfied Gottschalch, ehemals alter Bremer Kaderschmied, dann nach Amsterdam abgewandert, redete deutlich lieber von seiner Version des richtigen Lebens im falschen: dem „guten Leben“. Das sei auch in der Schule möglich, wer hindere einen Lehrer oder Professor denn, zu tun, was Spaß macht? Zum guten Leben gehörten auch gutes Essen und Trinken (Wein statt Whiskey), aber auch die Ästhetik. Was nicht heißen solle, daß er etwa den Diskurs über die Verhältnisse überflüssig findet: „Die marxistische Kritik der politischen Ökonomie ist nach wie vor richtig.“
Im Kampf zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen unterlag das Allgemeine deutlich. Besonders das rein pädagogische Fachpublikum lebte immer gleich auf, wenn Hoffnung aufscheinen wollte im Elend hienieden (Jugendgewalt, Perspektivlosigkeit, nicht mal Schreiben lernen die Schüler, Nullbock u.s.f.), Hoffnung in Gestalt guter Lehrer und resistenter Kinder. Die Verhältnisse – man mag sie offenbar nicht mehr in den Mund nehmen.
„Schluß mit dem Hedonismus!“ forderte eine einzelne Stimme aus dem Publikum, „man denkt, weil man es nicht mehr aushält. Marcuse.“ – „Abwehr!“ erkannte Gerhard Vinnai (analytische Sozialpsychologie). Die Hedonisten wollten nur die Macht der Verhältnisse nicht wahrnehmen.
„Es macht keinen Spaß,“ gestand der als Lehrer heftiger denn als Theoretiker geliebte Johannes Beck angesichts der breiten Hedonisten-Front. Und meinte die allfällige Kapitalismuskritik incl. dem Eingeständnis der eigenen Ohnmacht. „Ich habe auch lieber Omnipotenzphantasien.“ Er forderte eine ganz neue Bildungs–Bewegung analog zur Ökologiebewegung, die schließlich auch auf der Basis einer deprimierenden Kritik entstanden sei. Vinnai, ultimativ: „Gut leben heißt leiden!“ Dazu war keine Lust.
Burkhard Straßmann
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