Wie Schnee und Regen

Seit einem Jahr gibt es das Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue zwischen Lauenburg und Schnackenburg. Vom Naturschutz profitieren nicht zuletzt die dortigen Landwirte, auch wenn es manch einer von ihnen nicht wahrhaben will

Wer die Vögel duldet, fährt besser als sein Nachbar, auf dessen Feldern sie ebenfalls fressen

aus HitzackerGERNOT KNÖDLER

Das Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue zwischen Lauenburg und Schnackenburg ist für die dortigen Bauern kein schlechtes Geschäft. Sie haben es zum Teil bloß noch nicht gemerkt. Nach der ersten Jahresbilanz der Reservatsverwaltung sind durch das Schutzgebiet knapp eine Million Euro zusätzlicher Hilfen aus EU- und Landestöpfen in die Kassen der Landwirte gespült worden. Im Gegenzug mussten sich die Bauern beim Nutzen des Landes zurückhalten – „damit der Lebensraum erhalten bleibt“, wie Brigitte Königstedt von der Reservatsverwaltung in Hitzacker sagt.

Das vor einem Jahr vom Landtag beschlossene niedersächsische Schutzgebiet ist Teil eines großen Biosphärenreservats, das sich über 400 Kilometer und fünf Bundesländer an der Elbe hinzieht (siehe Kasten). Es geht zurück auf ein bereits in der früheren DDR ausgewiesenes Biosphärenreservat auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt. Ein richtiger Nationalpark, in dem der Schutz der Natur Vorrang gehabt hätte, ließ sich an der Elbe nicht durchsetzen. „Wir alle sind jetzt gefordert, das Biosphärenreservat zu einem Gewinn für die gesamte Region zu machen“, schrieb der damalige niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner der kleinen Lösung ins Stammbuch.

Die gesamte 375.000 Hektar große Flusslandschaft Elbe von der sächsischen Grenze bis unterhalb von Lauenburg ist nach deutschem Recht in einen Flickenteppich aus Gebieten von unterschiedlichem Status aufgeteilt: Im niedersächsischen Teil sind 16.540 Hektar für Siedlungen und intensiven Ackerbau vorgesehen (Gebietsteil A); für 20.100 Hektar gelten die gleichen Auflagen wie in einem Landschaftsschutzgebiet (Gebietsteil B), weitere 20.120 Hektar entsprechen einem Naturschutzgebiet (Teil C).

Die Reservatsverwaltung, eine Außenstelle der Bezirksregierung in Lüneburg, kümmert sich um die Abstimmung mit den Reservatsverwaltungen der anderen Bundesländer und um Werbung für das Schutzgebiet, wozu auch der Hinweis gehört, dass man sich hier prima erholen kann. Sie hilft Gemeinden und Deichbauern, ihre Vorhaben ins Gebiet einzupassen, und versucht Jägern, Anglern und Bauern die Ansprüche des Naturschutzes nahe zu bringen.

Die Einschränkungen, die das Bewirtschaften von Flächen im Gebietsteil C mit sich bringt, wurden auf unterschiedliche Weise kompensiert. Für ihre Wiesen, die sie nicht umpflügen, mit Gülle düngen oder spritzen durften, erhielten die Landwirte insgesamt 340.000 Euro „Erschwernisausgleich“. Mit Bauern, die bereit waren, beim Naturschutz weiter zu gehen, schloss die Verwaltung Bewirtschaftungsverträge: Die Landwirte erhielten insgesamt 300.000 Euro dafür, dass sie ihre Wiesen erst spät oder nur zweimal mähten, dass sie auf Kunstdünger und intensive Beweidung verzichteten. Das hilft Wiesenbrütern und seltenen Pflanzen.

Weitere 390.000 Euro erhielten Bauern, die sich zu Gunsten der im Gebiet rastenden Zugvögel, insbesondere der Saat- und Blessgänse, auf Einschränkungen beim Ackerbau einließen: Sie sollten Maisstoppeln oder ganze Rapsfelder über den Winter stehen lassen und damit den Vögeln Nahrung anbieten. „Die Landwirte müssen die Tiere nur dulden“, sagt Elvyra Kehbein, die Leiterin der Biosphärenreservatsverwaltung.

Ein Nationalpark mit Vorrang für den Naturschutz ließ sich an der Elbe nicht durchsetzen

Wer das tut, fährt unter Umständen besser als sein Nachbar, der sich nicht dem Naturschutz verpflichtet hat und auf dessen Feldern die Vögel dennoch fressen. Denn das Abschießen der Tiere ist verboten, sie zu vertreiben wiederum ist eine Sisyphusarbeit, die selten von nachhaltigem Erfolg gekrönt ist. „Wenn die Vögel ständig in der Luft bleiben, werden sie nur hungriger“, warnt Kehbein.

Zwar dienten die Vertragsflächen dazu, die Tiere auf bestimmte Äcker zu locken. Doch auch hierbei lässt sich der Erfolg nicht garantieren. „Die Gänse kommen über das Land wie Regen oder Schnee“, sagt Kehbein. Das müssten die Bauern eben hinnehmen.

Dass die Zahl dieser jährlichen Wintergäste in den vergangenen Jahren gewachsen wäre, wie die Bauern oft behaupteten, hält ihre Kollegin Königstedt für eine Legende. Sie muss es wissen, denn sie ist für die ständigen Vogelzählungen zuständig. Die Überweisungen an die Landwirte dienten dazu, diesen formidablen Rastplatz auf der Vogelzuglinie von Sibirien nach Westeuropa zu erhalten.

Wer sich die durchreisenden Vögel einmal selbst ansehen möchte, der kann Brigitte Königstedt von der Reservatsverwaltung am Sonnabend, 22. November, um 10 Uhr auf dem Parkplatz am Hitzacker See zur vogelkundlichen Führung treffen. Fernglas nicht vergessen!