: Widerwärtige Verschleierung
betr.: „Sie gehörte doch fast zur Familie“, taz vom 13. 5. 05
In Deutschland existiert seit kurzem eine intensive Forschung zur großen Gruppe der illegal beschäftigten Hausarbeiterinnen. Sie erhalten oft mehr Honorar als andere Ungelernte. Verschleiert wird jedoch, dass die Arbeitgeberin nicht nur Steuern und Abgaben spart. Die Gesellschaft nimmt auch hin, dass zehntausende Menschen hier ohne jegliche soziale und rechtliche Absicherung leben.
Man fragt sich, was die Arbeitgeberinnen in diesem Fall für „ehrlich“ halten. Die meisten dieser Frauen lassen ihre Kinder zu Hause, wo sie oft nur notdürftig versorgt werden. Kommen die Kinder mit, so haben sie bestenfalls heimlichen Zugang zu Bildung, der sich entsprechend auf die Grundschule beschränkt. Bei Arbeitsunfällen, Missbrauch oder Ausbeutung steht ihnen theoretisch rechtlicher Schutz zu. Gerichte verzichten aber nur in Ausnahmefällen auf die Feststellung der Identität, sodass die Betroffenen meist lieber auf ihr Recht verzichten, als sich abschieben zu lassen.
Unter den vielen Mittelschichtsangehörigen, die den Betreuungsnotstand über ausbeuterische Arbeitsverhältnisse lösen, ist mir noch keine bekannt geworden, die diese Verhältnisse nicht in widerwärtiger Weise verschleiert. Das „zur Familie gehören“ ist dabei eine Schutzbehauptung für beide Seiten. Die Haushaltsarbeiterin macht sich vor, dass sie als mithelfende Familienangehörige ernst genommen wird. Die Arbeitgeberin kann von ihrer „Perle“ unbezahlte Gefälligkeiten erwarten. ANJA WEISS, München