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Archiv-Artikel

Widersprüchliche „heilige Schriften“

betr.: „Ein tödlich verletzter Muslim im elterlichen Garten“, taz vom 28. 6. 06

Amartya Sen macht auf etwas eigentlich Triviales aufmerksam, das auch aufgrund der einseitigen Darstellung des Islams als Feindbild nicht mehr allgemein selbstverständlich zu sein scheint: Dass man nicht generalisierend von Koranstellen, die Gewalt legitimieren, auf die Gewalttätigkeit „der Muslime“ oder „des Islams“ schließen kann.

Zu fragen ist aber, wie es möglich ist, dass tolerante wie intolerante, friedfertige wie gewalttätige Gläubige sich auf dasselbe Buch als verbindliche Maxime ihres Handelns berufen können. Dies lässt nur einen Schluss zu: Der Widerspruch ist „heiligen Schriften“ solcher Art (also auch etwa der Bibel) bereits inhärent, und aus einem Widerspruch ist bekanntlich alles ableitbar – so berufen sich westlich geprägte Muslime auf diese, die Taliban auf andere Stellen. Der Koran weist allerdings selbst darauf hin, was dies bedeutet – in Sure 4, 82 heißt es: „Und so er [der Koran] von einem anderen als Allah wäre, wahrlich, sie fänden in ihm viele Widersprüche.“ Der Fundamentalirrtum der Offenbarungsreligionen war, Schriften, welche die Umstände ihrer Entstehungszeit widerspiegeln, zum ewig gültigen göttlichen Wort zu erheben. MATTHIAS RUDE, Tübingen