: Westernkitsch mit Buffalo
Die Westernstadt Cody in Wyoming definiert sich wie kein anderer Ort Amerikas als Zentrum des Wilden Westens. Dabei verkauft die Stadt eine Vergangenheit, die so nie existierte
Nein, es waren nicht die ersten Pilger, die den amerikanischen Kontinent von Osten gen Western zuerst durchquerten. Der spanische Konquistador Cabeza de Vaca war auf seiner dramatischen Reise lange vor ihnen dort. „Zwischen 1528 und 1536 hatte Alvar Nuñez Cabeza de Vaca einen Überlandmarsch unternommen, neben dem sich die berühmte Expedition von Lewis und Clark drei Jahrhunderte später wie ein Pfadfinderausflug ausnahm“, schreibt Tony Horwitz in seinem Buch „Es war nicht Kolumbus“. Der engagierte Autor ist die Routen der Entdecker im heutigen Amerika nachgefahren, besuchte die Orte, wo die Wikinger landeten, fuhr in die Dominikanische Republik und ahnt, was der Fluch des Kolumbus bedeutet, so desaströs dünkt ihn der Zustand dieser Inselhälfte heute. Er folgt den Spuren der spanischen Eroberer in die endlose Prärie und de Sotos Odyssee an den Mississippi, stößt auf Fußabdrücke: ein ehemaliges Schlachtfeld, Indianerruinen, Museen mit schweren Panzerhemden der Spanier oder Ortsnamen. „Ich steuerte auf ein Dorf namens de Soto zu … Es heißt so, weil der Legende zufolge die Spanier in der Nähe kampiert haben … Auf dem Gelände hatte sich inzwischen eine evangelische Kirche eingenistet. Ein Schild am Eingang zierte ein biblisches Sprichwort, das de Soto hätte beachten sollen: „Um wie vieles besser ist es, Weisheit statt Gold zu erlangen.“
Die Gier nach Gold ließ die Spanier unglaubliche Strapazen auf sich nehmen und führte zu gnadenlose Selbstherrlichkeit. Es gelang ihnen die Besiedlung der Küste Floridas, doch das riesige Binnenland, das de Soto erforscht hatte, wurde als feindlich abgeschrieben.
Horwitz’ spannende Spurensuche lebt von der aktuellen Reportage vor Ort. Von der Geschichte im Heute. „Nur einen Specht und eine fern murmelnden Bergbach hörte ich. Bei meinen kurzen Streifzügen in den trockenen Südwesten und in die stickigen Sümpfen Floridas hatte ich die Spanier oft bemitleidet und war froh, in einer Zeit zu leben in der es Insektenschutzmittel, Eiswürfel und Autos mit Klimaanlagen gab. Doch in jenem Augenblick beneidete ich sie wenigstens einen Moment, um ihren Marsch über einen Kontinent, der noch nicht von Kettensägen und Autobahnen verhunzt worden war.“ Horwitz fügt die Eroberungszüge zusammen, ohne sie zu verklären oder zu verdammen. Sehr lesenswert.
EDITH KRESTA
Tony Horwitz: Es war nicht Kolumbus. Die wahren Entedecker der Neuen Welt, 2008, 560 Seiten, 29,90 Euro
VON MORITZ PIEHLER
Der Cowboy auf dem Schild am Eingang des Bundesstaates deutet es an: Hier lebt der Wilde Westen noch. Wyoming wird im Westen von den imposanten Rocky Mountains und im Osten von den Black Hills eingegrenzt. Was dazwischen liegt, bedeutet einen Zeitsprung in eine andere Epoche. Das Herz der antagonistischen Gegend ist Cody, der erste größere Ort östlich des Yellow Stone National Parks.
Die Berge rund um Cody haben eindrucksvolle Namen wie Bear Tooth Mountain, und die Bewohner tippen zum Gruß an ihre Cowboyhüte. Cody hat seinen Namen von William Frederick Cody, besser bekannt als Buffalo Bill, der den Ort Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet hat. Sein Vermächtnis als größte Legende des Wilden Westens wird in der Kleinstadt entsprechend hoch gehandelt. Kaum ein Geschäft oder Hotel, dass seinen Namen nicht zu Geld macht. Allerdings war Buffalo Bill neben seinen zahlreichen Beschäftigungen als Büffeljäger, Militärscout und Schausteller vor allem auch ein cleverer Geschäftsmann, der früh das Potenzial des Westens als Tourismusmagnet erkannte. Buffalo Bill leitete schon Anfang des 20. Jahrhunderts Safaris für ausländische Prominenz wie Prinz Albert von Monaco, um ihnen eine romantische Variante des Wilden Westens zu verkaufen. Und so wird in Cody die eigene Entstehungsgeschichte als Tourismusort umgedeutet in eine wilde Vergangenheit als Cowboystadt.
Dem Ortsgründer wird in einem riesigen nach ihm benannten Museum Tribut gezollt. Über 35 Millionen Dollar Umsatz nimmt die Stadt durch das „Buffalo Bill Center“ ein. Am Eingang erwartet eine bronzene Statue des Helden die Besucher, Gewehr in der linken, den Cowboyhut in der rechten Hand. In fünf Flügeln wird man durch den gesamten Wilden Westen geleitet. Einer davon behandelt selbstredend das Leben und Schaffen Buffalo Bills, der spätestens mit seiner Wild West Show weltweiten Ruhm erlangte. Interessant ist die Verklärung des charismatischen Schnurrbartträgers als Indianerfreund und Bewahrer des amerikanischen Bisons im späten Leben des Buffalo Bill. Denn obwohl in seiner Show auch indianische Schausteller, unter anderem der berühmte Häuptling Sitting Bull, auftraten, dürfte ihre Rolle als folkloristische Bösewichte eher zum negativen Image der Indianer als zur Erhaltung ihrer Kultur beigetragen haben. Und die kleine Herde Bisons, die William Cody im Alter züchtete, konnte wohl kaum die Unzahl an Büffeln aufwiegen, die er im Auftrag der Eisenbahn erlegte.
Im Museumsshop findet man zahlreiche Westernmemorabilia, auch Westernmöbel im „Cody Style“ gibt es zu erwerben, klobige Holzstühle oder einen Kicker, der Indianer und Soldaten gegeneinander antreten lässt. Dennoch zeigt das Museum in seinem Naturbereich und den Räumen über die Indianer der Great Plains durchaus sehr informative Ausstellungen. Die jährlich zwei Millionen Besucher werden aber wohl eher von der umfangreichen Wildwestkunstsammlung und dem größten Waffenarsenal in ganz Amerika angelockt. Staunend stehen sie vor den Relikten des Westens, unüberschaubaren Reihen von Winchester-Gewehren und Smith&Wesson-Colts, die ehrfürchtig durch die Scheiben bewundert werden. Das Recht, eine Waffe zu tragen, ist bis heute unabdingbar mit der Identität des amerikanischen Westens verknüpft.
Mindestens ebenso identitätsstiftend für das eigene Wildwestempfinden ist die Kunstabteilung. Frederick Remington und Norman Rockwell heißen die bekanntesten Künstler, die das romantische Wildwestklischee in ihren Ölgemälden gefestigt haben. Ihre Bilder findet man in Kalendern, Postkarten und in den Wohnzimmern der neu gebauten Ranch Style Homes der Zugezogenen. Cody ist eigentlich ein lebendig gewordenes Remington-Gemälde.
Den ganzen Sommer ist Rodeosaison in Cody, am 4. Juli findet das „Stampede Rodeo“, eines der größten im ganzen Land, hier statt. Jetzt ziehen auf der Hauptstraße langsam riesige Allradjeeps vorbei, oft mit Pferdeanhängern oder kleinen Jagdbuggys auf der Ladefläche. Im Herbst verwandelt sich die Stadt in ein Mekka für schießwütige Trophäensammler aus dem ganzen Land. In den Restaurants liegen Broschüren aus, die den Lesern das fachgerechte Zerlegen eines Hirsches in vier Schritten erklären, und jeder Zweite trägt eine grellorange Baseballmütze, die einen versehentlichen Abschuss verhindern soll. Die Einwohner reden nicht viel, und wenn, dann über das Wetter. Über Politik braucht man sich hier nicht zu verständigen, Cody ist wie ganz Wyoming fest in republikanischer Hand.
Aus den Fenstern von Irma’s Hotel kann man das Treiben auf der Straße in Ruhe beobachten. Der riesige Salon, voll ausgerüstet mit Westernkitsch und überwacht von den stumpfen Blicken der ausgestopften Fauna der Umgebung, lässt die Touristenmengen des Sommers nur erahnen. Im Herbst gehört die Bar den Cody-Bewohnern allein. Irmas eigener Tisch, von dem die Dame des Hauses den Überblick bewahrte, steht seit ihrem Tod vor vier Jahren leer am Eingang.
Nicht ganz so damenhaft geht es in Cassie’s Saloon zu. Er ist ein ehemaliges Bordell, das zu einer Art musikalischem Geheimtipp geworden ist. Hinter dem Gebäude, stilecht mit Holzveranda und abgedunkelten Fenstern, vermutet man eher eine weitere Touristenbar. Tatsächlich zieht die Atmosphäre des Saloons aber Größen wie Amy Grant an, die umsonst in dem Westernambiente zu hören sind. Im Oktober bleibt allerdings auch hier die Kundschaft weg, verzweifelt versucht der Betreiber, ein paar Zuhörer für die Band Los Lobos aufzutreiben.
Man muss Cody zugutehalten, dass, anders als in den meisten anderen amerikanischen Kleinstädten, die auch nur im entferntesten Sinne so etwas wie Attraktionen vorzuweisen haben, keine Aqualands, Funparks oder sonstigen Plastik-Amüsiermeilen aus dem Boden gestampft wurden. Aber wenn man die Buffalo-Bill-Motels und Sitting-Bull-Burgerläden hinter sich lässt, fragt man sich, ob Buffalo Bill vielleicht die Ausmaße des Westerntourismus in seiner idealisierten Cowboystadt vorausgesehen hat, als er an seinem Lebensende darum bat, 1.000 Meilen südlich in den luftigen Höhen von Colorado beerdigt zu werden.