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Werden und Vergehen etc.Lügen bis zuletzt

■ Das lange Sterben der „Weltbühne“

Was die Nazis nicht schafften, vollendet jetzt mühelos die Marktwirtschaft, die Weltbühne ist tot, und Deutschlands Osten um eine Dolchstoßlegende reicher: Westdeutscher Immobilienmakler stellt „ein recht streitbares Medium“ ein. Vom Neuen Deutschland bis zur Berliner Zeitung reicht der Jammerchor, der allerdings Entscheidendes unterschlägt. Ein wunderlicher Greis, war da zu erfahren, hatte sich aus den USA eingemischt. Er war in den vergangenen Jahren, hieß es, schon mehrmals beim Versuch der Wiederbelebung der Weltbühne gescheitert. Wer ist der alte Herr? Es ist der 78jährige Peter Jacobsohn, der seit zwei Jahren dagegen prozessiert, daß mit dem Namen seines Vaters Siegfried Jacobsohn und der von ihm 1905 gegründeten Weltbühne weiter Schindluder getrieben wird. Er konnte sich jetzt durchsetzen. Das Problem ist jedoch eigentlich kein juristisches, sondern ein moralisches. Es geht um den Verrat der renitenten linken Haltung zugunsten stalinistischer Anpasserei und greinenden Selbstmitleids im nachhinein – die letzten Jahrgänge der Weltbühne sprechen für sich selbst. Theobald Triger, Peter Panther, unter den zahnlos gewordenen Singvögeln der verflossenen Diktatur wären sie genauso wenig angekommen wie die Oppositionellen aus dem Osten oder alte Antifaschisten wie der frühere Weltbühnen-Autor Axel Eggebrecht, der aus seinem Ekel vor der SED-treuen Zeitschrift nie ein Hehl machte. Unter der Chefredaktion von Peter Theek (NSDAP- Mitgliedsnummer 9124729) konnte Peter Hacks dort die Ausbürgerung Wolf Biermanns bejubeln, Heinrich Böll als „Herbergsvater für wandernde Dissidenten“ beschimpfen und vor „Solschenizyns Läusen“ warnen. Nach der Wende war dann Joachim Gauck als „Luther der Archive“ dran, die Stasi-Aktenöffnung wurde mit einem „Erlöse uns, Allmächtiger, von dem Übel dieses Biedersinns!“ kommentiert.

Die Weltbühne ist tot? Sie war es längst, ein langsames Sterben im Mainstream herrschender Gesinnungen – im Zweifelsfall immer auf seiten der Täter.

Als Anarcho-Syndikalist las mein Urgroßvater in den zwanziger Jahren eifrig „das Blättchen“. 1933 verbrannte er alles, die DDR-Jahrgänge fand ich in einer Dachkammer wieder, mit zittriger Greisenhand all die Propaganda-Phrasen angestrichen, die inzwischen dort Einzug gehalten hatten und Carl von Ossietzky posthum beleidigten. „Diese Schweine!“ tobte der Urgroßvater und tippte auf den mißbrauchten Namen.

Dieser Mißbrauch hat nun sein spätes Ende gefunden – mit den Klagen seiner Nutznießer und Claqueure aber werden wir wohl noch einige Zeit leben müssen. Marko Martin

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