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Werbung in Internet-ForenGekaufte Blogger

Immer mehr Unternehmen beeinflussen die virtuelle Mund-zu-Mund-Propaganda im Internet zu ihren Gunsten.

In Foren, Blogs und Netzwerken wie www.ciao.de werden Produkte wie Waschmaschinen diskutiert, empfohlen oder abgelehnt. Bild: screenshot ciao.de

Wer sich heutzutage eine neue Waschmaschine anschaffen oder eine Lebensversicherung abschließen will, informiert sichhäufig zunächst im Internet über die Angebote. Im besten Fall gibt es zu dem Produkt oder der Dienstleistung bereits Erfahrungsberichte und unabhängige Empfehlungen anderer Verbraucher. Doch diese sind häufig nichts weiter als gut versteckte Werbung von Firmen, die für potenzielle Kunden nicht erkennbar ist. So sind 95 Prozent aller Blogs und Foren zum Thema Versicherungen reine Werbeblogs, wie jetzt eine Recherche der Internetbeobachtungsfirma Infospeed ergeben hat. Das Unternehmen übernimmt für Firmen die Beobachtung von Foren, Blogs und Netzwerken wie www.ciao.de, in denen deren Produkte diskutiert, empfohlen oder abgelehnt werden. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft, der auch Internet-Marketingfirmen vertritt, war zunächst nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

Statt der Weitergabe von unabhängigen Erfahrungsberichten und Qualitätsbeurteilungen häuften sich Manipulationen, die Blogger als einzelne und auch in der Gruppe betreiben, weiß der Informationswissenschaftler Matthias Fank von der Fachhochschule Köln. Im Auftrag von Infospeed führte er 2007 eine bislang unterveröffentlichte Studie zu Foren- und Blogbetreibern durch. Die Untersuchung ergab, dass 50 Prozent der untersuchten augenscheinlich unabhängigen Blogs zu Marketing-Zwecken erstellt wurden - es handelt sich also um Blogs von Unternehmen oder Privatpersonen, die versuchen, ihre Produkte zu verbreiten.

Allerdings gibt es nicht nur scheinbar unabhängige Blogs und Foren, die keine sind - es gibt auch Blog- und Forennutzer, die sich als unabhängig ausgeben, es aber nicht sind. "Ich werde dafür bezahlt, in mehreren privaten Netzwerken positive Kommentare über die Produkte einer Software-Firma zu schreiben, die Unterhaltungsprogramme entwickelt", sagt ein Informatikstudent, der anonym bleiben will. Für zwei Nachmittagsschichten pro Woche erhält er 500 Euro im Monat. "Sicher habe ich gewisse Leute eindeutig in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst."

Selbst große Internethändler sind offenbar nicht vor gelenkten Nutzern sicher. So fanden sich beispielsweise Ende Januar beim Internet-Versandhaus Amazon rund hundert Sehr-gut-Bewertungen über Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt von ein und demselben Nutzer - was bedeutet, dass er rund hundert Bücher innerhalb kurzer Zeit gelesen haben müsste.

Das Online-Lexikon Wikipedia bietet mit seinen offenen Strukturen ebenfalls eine breite Angriffsfläche für Manipulationen jeglicher Art. Darauf wies Ullrich Müller von der Nichtregierungsorganisation Lobby Control 2007 in seiner Studie "Greenwash in Zeiten des Klimawandels" hin. Viele Wikipedia-Seiten, besonders zu den Themen Gentechnik, Atomenergie und Klimaschutz, seien massiv manipuliert worden, so Müller.

Wie groß das Manipulationspotenzial im Internet ist, wo sich Firmen und Lobbyisten die virtuelle Mund-zu-Mund-Propaganda zu eigen machen, zeigt die Arbeit der Firma Infospeed. Demnach surfen weltweit mehr als eine Milliarde Menschen täglich im Netz. In Deutschland sind über 50 Millionen Computernutzer online, allein hierzulande werden 300.000 Blogs verwaltet. International sind es schon mehr als 40 Millionen sein - und jede Sekunde kommt ein neues hinzu.

Wie wichtig das Internet für potenzielle Kunden geworden ist, zeigt Fank ebenfalls in seinen Untersuchungen. Folglich treffen 96 Prozent aller deutschen Haushalte Kaufentscheidungen mit Hilfe des Internets - ohne genau nachvollziehen zu können, woher die Test- und Erfahrungsberichte stammen, die sie zu ihrer Kaufentscheidung bewogen haben. Dabei schreiben die gekauften Blogger nicht nur positive Einträge, um ihre eigenen Produkte anzupreisen, sondern machen die Produkte anderer Firmen gezielt schlecht, was manchmal viel wirkungsvoller ist, erklärt Jan Krömer von Infospeed. Fank sieht diese Entwicklung jedoch nüchtern: "Nicht die Kundenmeinungen im Web sind das Problem, sondern eine Strategie, die sie nicht berücksichtigt."

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