Werbeflaute im TV: Bleiben Sie dran - bitte, bitte!
Weil die Werbekunden sparen, füllen die Sender so viel Programm wie noch nie mit Eigenwerbung. Die Digitalisierung macht unverwechselbare Selbstvermarktung zur Überlebensfrage.
In Zeiten der Wirtschaftskrise, in denen die Werbeschaltungen drastisch einbrechen, müssen die Werbeinseln irgendwie gefüllt werden. Und so flimmern derzeit mehr Trailer über die deutschen Fernsehschirme als je zuvor. Und das nervt so manchen Zuschauer. Allein bei ProSieben und Sat.1 sind es rund 120 am Tag. Ein Sender wie RTL bestreitet täglich über eine Stunde seines Programms nur mit Eigenwerbung.
Mittlerweile versucht eine ganze Industrie, Sender mit Clips, Logos, Kampagnen und Sprüchen wie "Ich drück Dich" oder "We love" als unverwechselbare Marken zu positionieren. Das gelingt nicht immer. "Im Sendervergleich wirken Trailer wie auch Kampagnen immer noch oft austauschbar und spiegeln zu wenig die Senderidentität wider. Die Verführungsstrategien mancher Sender wirken oft fantasielos und der Sprachschatz erschöpft sich in Wiederholungen", kritisiert Oliver Haroun, Kreativdirektor der Agentur Tof-Intermedia.
Dabei ist das "unverwechselbare Gesicht eines Senders" auf einem der härtesten Fernsehmärkte der Welt der Schlüssel zum Erfolg. "Ein Überangebot an Sendern und Sendungen überflutet heute den Zuschauer", stellt ARD-Design-Chefin Henriette von Hoessle fest, "kaum jemand wird seitenweise Programmzeitschriften wälzen oder andere Informationsmedien nutzen, um sich daraus eine tägliche persönliche Auswahl zu erstellen. Oftmals entscheidet eher das Gefühl: Ich will dabei sein und mitfiebern, ich will mich entspannen, ich will etwas wissen, mitreden können."
Ein Pionier ist der frühere RTL-Kreativdirektor Manfred Becker: "Mit der Einführung der Programmpromotion haben wir damals das Fernsehen revolutioniert. Statt Tafeln oder Ansagerinnen gab es bewegte Bilder. Damit haben wir bei den Zuschauern im Programmfluss Lust auf die Inhalte geweckt."
Trailer und trailerähnliche Formen der audiovisuellen Kommunikation jedenfalls, so urteilt Wout Nierhoff, seien immer noch im Kontext der digitalen Entwicklung Schlüsselerfolgsfaktoren der Kommunikation, des Marketings und der Werbung: "Und dies gilt nicht nur für die Medien- und Kommunikationsbranche."
Als Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der europäischen Vereinigung für Design, Promotion und Marketing in den audiovisuellen Medien, Eyes & Ears of Europe, hat Nierhoff kürzlich das erste internationale Trailerfestival in Köln veranstaltet. 186 britische, finnische, niederländische, belgische, französische, Schweizer, US- und deutsche Firmen aus allen Bereichen der Medien-, Kommunikations- und Kreativwirtschaft hatten Beiträge eingereicht.
Die Veranstaltung jedenfalls machte einmal mehr klar, welchen Stellenwert die Zunft für das Fernsehen besitzt. Für Karin Furtmeier, Geschäftsführerin der Kreativagentur Bruce Dunlop and Associates München, liegt die Erklärung dafür auf der Hand: "Sender haben sich mittlerweile zu Marken entwickelt. Jeder Sender vermittelt ein gewisses Lebensgefühl, löst bestimmte Assoziationen und Emotionen beim Zuschauer aus. Branding ist aus dieser Sicht wichtig, um die unterschiedlichen Senderangebote auf der sinnlichen Ebene voneinander abzuheben, da sich die Programme teilweise nicht mehr so sehr unterscheiden." Aus dieser Sicht könne "ein kohärenter Markenauftritt" manchmal den entscheidenden Wettbewerbsvorteil ausmachen.
Die größte Herausforderung steht der jungen Branche noch bevor: Digitalisierung und Internet werden die Art und das Geschäftsmodell von Fernsehkonsum drastisch verändern. Zum Beispiel wird eine Serie wie der US-Erfolg "CSI" zukünftig auf allen möglichen Endgeräten zu sehen sein. Eine klare Markenführung wird für die Sender damit endgültig zur Überlebensfrage. Die Geschäftsführerin der Werbeagentur Neonred Group, Anke Vermeulen, urteilt: "Bei der steigenden Vielfalt der Angebote in der digitalen Welt müssen sich die Sender jetzt noch klarer positionieren und ihre Marke auf alle Medienplattformen übertragen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr