: Wer will schon zum Militär
Südkoreas Mannschaft hat vor dem Spiel gegen die Schweiz mit irrealen Erwartungen in der Heimat zu kämpfen
AUS BERGISCH GLADBACH DANIEL THEWELEIT
Dick Advocaats Blicke senden böse Signale. „Ihr habt ja keine Ahnung von den Wahrheiten des Fußballs“, scheinen seine Augen zu verkünden, aber wenn man so etwas verbal und in aller Öffentlichkeit zu einem Koreaner sagt, kann das sehr verletzend wirken. Also formulieren Advocaats Lippen freundlich klingende Sätze, den Subtext kommunizieren seine Augen. „Ihr denkt, wenn wir offensiver spielen, dann gewinnen wir 5:0 oder 6:0 gegen Frankreich“, sagt seine Stimme, „ihr vergesst, dass Korea immer noch eine sehr kleine Fußballnation ist.“ In Asien werfe man ihm vor, dass er zu defensiv spielen lasse, hatte ein Fernsehreporter gesagt. „Zeigen Sie mir doch die vielen anderen Teams, die mit drei Stürmern spielen“, entgegnet Advocaat verärgert. Dann schweigt er, lässt seine Lider böse zucken, und für einen Moment unterbricht sogar der Übersetzer seine Arbeit und wirft einen furchtvollen Blick hinüber zu dem holländischen Trainer.
Dabei könnte alles so schön sein für die Koreaner in ihrem mondänen Schlosshotel auf einem Hügel in Bergisch Gladbach. Man hat einen wunderbaren Blick auf den Kölner Dom, und vor einigen Tagen sind sogar die Brasilianer gekommen, sie wohnen praktisch nebenan. Vor allem aber war Südkorea mit dem Sieg gegen Togo und dem Unentschieden gegen Frankreich eine der Überraschungsmannschaften im bisherigen Turnierverlauf – aus europäischer Perspektive jedenfalls.
In Asien werde das anders gesehen, erklärt Advocaat seine Wut auf die Journalisten später. „Man muss doch sehen, was für einen guten Job wir hier machen“, sagt er, „deshalb bin ich wirklich verärgert über ein paar Fragen.“ Offenbar wird die koreanische Mannschaft in der Heimat völlig anders eingeschätzt als in Europa. Man ist immerhin Vierter der vergangenen Weltmeisterschaft, die rauschhaften Wochen von 2002 kehren in diesen Tagen als verklärte Erinnerung zurück ins Gedächtnis der Leute, sie halten sich für alles andere als einen Außenseiter.
Daher ist Advocaat nach dem guten Turnierbeginn vorwiegend damit beschäftigt zu warnen, um Anerkennung für das bisher Geleistete zu werben und auf die Schwere der kommenden Aufgabe hinzuweisen. Die Koreaner müssen nämlich gegen die Schweiz gewinnen, um ins Achtelfinale einzuziehen, oder sie sind auf ein passendes Ergebnis im anderen Gruppenspiel zwischen Frankreich und Togo angewiesen. Zum Glück versuchen auch die Spieler die explodierenden Erwartungen etwas zu relativieren. „Wie man sich richtig bewegt, wie man Räume eng macht, das lernt man erst in Europa“, sagt Young-Pyo Lee von Tottenham Hotspur, die meisten seiner Kameraden spielen aber noch irgendwo in Asien. Mit den ganz großen Nationen der Welt könne man deshalb „nur mit viel Glück mithalten“, sagt Lee, doch zu diesen Giganten zählt er die Schweiz nicht. Der Verteidiger hält die beiden Nationen für vergleichbar, nicht nur fußballerisch. „Wir sind ein kleines Land und mussten in unserer Geschichte viel Energie darauf verwenden, uns zu verteidigen. Das erkennt man auch im Geist unserer Mannschaft. Ich glaube, die Schweiz hat eine ganz ähnliche Mentalität“, sagt er.
Lee kennt sich ganz gut aus mit den Eidgenossen, deren Kapitän Johann Vogel bezeichnet er als „sehr guten Freund“. Zweieinhalb Jahre spielten sie gemeinsam beim PSV Eindhoven, gingen oft zusammen essen, und Lee sagt, „Johann hat mir sehr gute Informationen über die Schweizer übermittelt. Er hat mir gute Tipps gegeben.“ In seinen Händen wiegt er eine DVD, auf der handschriftlich geschrieben steht: „Schweiz – Togo, Schweiz – Frankreich“. Schon mehrfach habe er sich diese Aufzeichnungen angesehen, und er werde sie auch noch ein weiteres Mal in den DVD-Player einlegen, sagt er.
Asiaten feilen besonders akribisch an taktischen Feinheiten, das gilt als eine ihrer Stärken, und eine Motivationshilfe der besonderen Art hat die Regierung des Landes beigesteuert: Wenn die Mannschaft das Achtelfinale erreicht, dann werden die Spieler von der Militärpflicht befreit. Schon 2002 war dieses Angebot ein Zugpferd für die Mannschaft, einige Spieler haben sich das Privileg schon damals erspielt. Sieben Spieler kämpfen nun gegen die Schweiz um die Befreiung, denn der Militärdienst gilt als besonders hart in Korea. Das ist eine der wenigen Nachrichten aus Korea, über die Advocaat sich wirklich freuen kann. „Es geht um zwei Jahre ihres Lebens, die werden laufen bis zum Umfallen“, sagt er. Bei diesem Thema weicht der Ärger, jetzt schenkt Advocaat seinen Zuhörern sogar ein Lächeln. Jenseits der irrealen Erwartungen in der Heimat sind sie nämlich auch hier auf ihrem Schloss äußerst zuversichtlich.