■ Wer hat den Castor nach Niedersachsen geschickt?: Linke Schwabenstreiche von hinten
Es ist entschieden. Wenn Gerhard Schröder, Verhandlungsführer der Sozialdemokraten, heute als Gastgeber die neue Runde der Konsensgespräche über Atomenergie eröffnet, ist der Castor auf dem Weg. Das Gespräch soll stattfinden, obwohl Niedersachsens Ministerpräsident mehrfach damit gedroht hat, die Konsensrunden für den Fall abzubrechen, daß die paar süddeutschen Brennelemente ohne jeden sachlichen Grund in Gorleben eingelagert werden.
Natürlich war diese Drohung nie sehr ernst zu nehmen. Sie jetzt wahr zu machen, wäre nutzlos und käme dem Eingeständnis einer persönlichen Niederlage gleich. Noch will Schröder den Schein retten, tatsächlich ist aber kaum zu übersehen, woran er gescheitert ist. Es ist nicht die Atomindustrie und auch nicht die Bundesregierung, die den Castor losgeschickt hat. Die eigentlichen Absender des Torpedos sind die Sozialdemokraten Harald Schäfer und Dieter Spöri, Umwelt- und Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg. Beide warnten bei jeder Gelegenheit davor, den SPD-Parteitagsbeschluß zum Ausstieg aus der Atomenergie zu verwässern – stets war Schröder gemeint. Beide hätten im Falle Obrigheim Gerichtsentscheidungen auf ihrer Seite, ein besonders alterschwaches Atomkraftwerk sofort stillzulegen. Sie ziehen vor das Bundesverwaltungsgericht, um es am Netz zu halten. Und beide hatten ein starkes Druckmittel in der Hand, den Castor-Transport zu untersagen. Denn das Bundesland, in dessen Regierung sie sitzen, hält wesentliche Anteile der Aktien an der Betreibergesellschaft des AKWs Philippsburg.
Gerhard Schröder rühmt sich gelegentlich guter Kontakte zur Industrie. In diesem Fall hätten Gespräche unter führenden Genossen gereicht, um die eigene Demontage vor den Bonner Regierungsparteien zu verhindern. Doch Spöri und Schäfer rührten keinen Finger. Denn nichts ist ihnen lieber als ein heute noch mächtiger Rivale in der eigenen Partei, der plötzlich mit ziemlich leeren Händen dasteht.
Wohl möglich, daß Bürgerinitiativen gegen Atomkraft schwer mit dem Konsens leben könnten, den Gerhard Schröder mit der Bundesregierung und der Atomindustrie aushandeln wollte. Die Umrisse waren erkennbar: Das Zwischenlager Gorleben wäre mit Zustimmung Niedersachsens in Betrieb genommen, deutsche Atomkraftwerke wären nur kurz vor ihrer technischen Schrottreife abgeschaltet worden. Die Sozialdemokraten aber, die diesen Kompromiß jetzt zu verhindern suchen, wollen nicht mehr erreichen. Sie wollen viel weniger. Sie reden nur mehr. Zu Recht wird jetzt in Gorleben protestiert, in Stuttgart aber sollte die nächste Großdemonstration stattfinden. Gegen Spöri und Schäfer, nicht mit ihnen. Niklaus Hablützel
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