Wer auf einem Bauernhof aufwächst, lernt, dassLeben und sterben zusammengehören. Doch beimBlick auf die Fleischindustrie kommen Zweifel auf: Tiere werden geboren,leben und werden getötet –so einfach ist das aber nicht
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Meine Eltern haben immer Tiere gehalten, die es am Sonntag bei uns zum Essen gab. Den Hühnern hackte mein Vater mit der Axt den Kopf ab. Die lagen dann auf dem Hof herum, für den Hund als Spielzeug. Meine Schwester versuchte eine Weile, ein einzelnes Kaninchen vor dem Tod zu bewahren, aber so lief das nicht. Wir wuchsen so auf, mit den Tieren und dem Töten. Und wenn ich sagen würde, den Tieren ging es allen gut, dann wäre das gelogen.
Später zog ich auf einen richtigen Bauernhof. Wir bekamen einen Sack voller Tauben geschenkt. Mein siebzehnjähriger Freund zog sie, Taube für Taube, aus dem Sack und drehte ihnen den Hals um. Knack machte es, und dann gab er sie mir, ich sollte sie zubereiten. Es wurde darüber diskutiert, ab welchem Alter die Kinder dem Schlachten eines Schweins oder einer Kuh beiwohnen dürften, ohne dass sie einen seelischen Schaden davontrügen. Die Tiere wurden mit größter Sachkenntnis und Rücksicht vom Vater, einem Schlachtermeister, geschlachtet. Das Schlachthaus lag direkt unter unserem Schlafzimmer. Ich wusste, wie ein Tier geboren wird, wie es aufwächst und wie es dann ums Leben kommt. Ich dachte, so ist es nun mal, so leben wir, so muss es sein.
Auch an Ekel kann man sich gewöhnen
In den Sommerferien arbeitete ich in der Zerlegung eines Fleischkombinates (in der DDR). Die Tiere hatten Verletzungen, Wunden, Beulen. Ich schnitt die Backen von den Schweineköpfen, die oftmals nicht mehr intakt waren. Ich fragte nicht nach, warum die Schweine so aussahen. Ich wollte es nicht wissen. Am Anfang spürte ich einen Widerstand, mit dem Messer in so einen Schweinekopf zu schneiden, aber das gab sich schnell, auch der Ekel.
Man gewöhnt sich an fast alles. Jetzt weiß ich einiges über industrielle Landwirtschaft. Ich esse kein Fleisch mehr. Ich weiß, dass es engagierte Bauern gibt, auch in der konventionellen Landwirtschaft, ich weiß, dass die meisten Menschen einfach arbeiten und Geld verdienen wollen. Ich weiß, dass der Bankangestellte keine moralisch vertretbarere Arbeit verrichtet, als der Landwirt, der seine Schweine kostengünstig hält, damit er sein Fleisch auch verkaufen kann, denn der Bankangestellte kauft gern günstig ein. So läuft das in der Welt. Es gibt Tierrechtsorganisationen, die führen einen Krieg. Peta zum Beispiel, und die sind verhasst bei den Leuten.
Peta macht sich Feinde
Peta ist radikal, überschreitet Gesetze, startet Aktionen, die geschmacklos sind, provoziert und hat möglicherweise manchmal Unrecht oder begeht Unrecht. „Terror im Tierrecht“ heißt es im Agrar heute. Edmund Haferbeck, Peta-Rechtsberater, wird zitiert: „Es gibt keine tier- und artgerechte Schweinehaltung. Es gibt sie einfach nicht.“ So etwas bringt den Landwirt auf. Noch mehr bringt ihn auf, dass in seinen Stall eingebrochen wird. Peta-Aktivisten brechen immer wieder in Ställe ein, um Missstände aufzudecken. Der Jagdverband DJV hat erst kürzlich eine Strafanzeige gegen Peta gestellt, wegen falscher Verdächtigungen und weil die Jagd in ein schlechtes Licht gerückt würde. Ähnlich sehen es die Bauern. Peta sei an guter Tierhaltung gar nicht gelegen, ihr Ziel wäre die Abschaffung der Tierhaltung.
Christian Meyer, Niedersachsens Landwirtschaftsminister, schimpft: „Die Kontrolle der tierhaltenden Ställe ist Sache des Staats und nicht von jedermann.“ Filmaufnahmen wären manipuliert und einseitig. Bauern hätten Angst.
So also. Oder manchmal auch anders? Tiere leben und sterben unter elendigen Qualen? Der Staat sollte es gemerkt haben, aber hat er nicht, irgendwie nicht? Was ist Recht und was sind Gesetze? Wen schützen sie und wen nicht? Argumentieren wir umfassend gerecht oder wie es uns nützt? Bauern, Fleischesser, Tierschützer?
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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