Wer Frauen begrapscht, ist schon immer ein Schwein gewesen: Die Unfähigkeit, zu differenzieren
Fremd und befremdlich
Katrin Seddig
Wie fast alle Frauen bin ich in meinem Leben immer wieder sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen. Ich sah erigierte Penisse fremder Männer im Wald, im Park, sah sie in der Bahn onanieren, ich wurde in der Disco begrapscht, im Bus, in der Kneipe, im Gedränge auf dem Bahnhof, sogar im Gang einer Grundschule, und das bis zum heutigen Tag.
Auf dem Lande, wo ich aufgewachsen bin, wurden Frauen eigentlich immer ein bisschen „angefasst“. Man wuchs damit auf. Sorgen sollte sich aber die Frau machen, die nicht angefasst wurde, weil sich keiner für sie interessierte, so ungefähr war der Tenor. Meine Freundin wurde nachts, innerhalb des Dorfes, von einem Mann angesprungen, niedergerissen und während der betrunkene Mann auf ihr rumruckelte, konnte sie sich irgendwie doch befreien und nach Hause rennen.
Das war in den achtziger Jahren und kaum jemand maß dem eine größere Bedeutung bei. Man sah sich vor , steckte die Busengrapscherei weg. Ich wurde so sozialisiert, ich fand mich damit ab, dass die Welt und insbesondere Männer eben so sind. Wohlgemerkt deutsche Männer, auf dem deutschen Land. Zufälligerweise bin ich noch nie von einem Mann ausländischer Herkunft sexuell belästigt worden.
Darum geht es jetzt aber gerade überall, nicht nur in Köln, auch in Hamburg St. Pauli sollen Männer gezielt Frauen belästigt haben, um sie zu beklauen und vermutlich auch um sie eben anzufassen. Wenn so ein Mann eine Frau beklauen und zusätzlich noch betatschen kann, tut er das halt. So ein Mann, so eine Sorte Mann. Und darum geht es in der öffentlichen Diskussion –das ist der Punkt, der mich aufregt –,was für eine Sorte Mann ist das?
Ich denke, das ist ganz einfach, wer so etwas tut, der ist ein Schwein. Ist es schon immer gewesen. Schon 1985 ist der ein Schwein gewesen, auch wenn das damals in der ostdeutschen Provinz nicht als Übergriff galt, sondern als ein normales Balzverhalten von Männern jeden Alters. Wer einen anderen Menschen einschüchtert und sexuell bedrängt oder sogar missbraucht, der ist aber immer nur ein Schwein und sonst nichts.
Das aber ist nicht der Punkt in der öffentlichen Diskussion, es geht vielmehr darum, was derjenige noch ist und wie man ihn von vornherein erkennt und davon abhält, sich schweinisch auszuleben. Es wird davon ausgegangen, dass es sich um ein von außen hereingetragenes Problem oder um eines der Sozialisierung handelt, und wenn dem so wäre, dann sollte man Menschen anderer Nationalitäten als der deutschen einfach hier in unser Land nicht reinlassen, weil „die“ anscheinend alle gleich sozialisiert sind. Und selbst Leute, die bisher verständnisvolle Antirassisten waren, fallen vom Glauben ab. Ich weiß nicht, was mich mehr ärgert, tatsächliche Blauäugigkeit oder einfach nur die Unfähigkeit, zu differenzieren.
Natürlich kommen auch Kriminelle hierher, natürlich sind manche Kriminelle dunkelhäutig, manche sind Syrer, manche Flüchtende, natürlich sind welche von ihnen ohne Regeln und ohne Moral, natürlich haben einige den Anstand verloren und sind kaum noch wieder hinzubiegen, natürlich ist das ein Problem. Aber Menschen sind so, so schwierig und schwach, so kaputt und krank und bedürftig und böse und alles. Wir deutschen Menschen auch, man denke nur daran, wie extrem sich Deutsche in schwierigen Zeiten schon verhalten haben, wie kriminell, gewalttätig und übergriffig. Unter schwierigen Umständen gibt es immer sehr viel mehr Schweine als unter netten Umständen. Aber der deutsche Mann ist von Natur aus keinen Deut besser, als jeder andere Mann aus jeder anderen Region der Welt. Nicht klüger, nicht moralischer und auch nicht netter.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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