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■ Wenn morgen erstmals in Berlin Rekruten auf einem öffentlichen Platz ihr Gelöbnis ablegen, geht es auch um die Frage nach der künftigen Identität BerlinsDer Kampf um den öffentlichen Raum

Wenn morgen erstmals in Berlin Rekruten auf einem öffentlichen Platz ihr Gelöbnis ablegen, geht es auch um die Frage nach der künftigen Identität Berlins

Der Kampf um den öffentlichen Raum

Wenn es um die Ehre der deutschen Soldaten geht, versteht der Bundeskanzler bekanntlich keinen Spaß. Falls dann auch noch gegen die Bundeswehr und ihre „Traditionen“ demonstriert wird, ist für die Christdemokraten höchste Alarmstufe angesagt: Wenn Teile der SPD gemeinsam mit Sozialisten und Kommunisten gegen die Bundeswehr mobil machten, schäumt der parlamentarische Geschäftsführer der Berliner CDU- Fraktion, Volker Liepelt, so habe dies „Volksfrontcharakter“.

Was den CDU-Abgeordneten auf die Barrikaden treibt, ist der Aufruf eines Bündnisses aus verschiedenen Initiativen, Bündnisgrünen, PDS und Teilen der SPD, das erste Rekrutengelöbnis auf einem öffentlichen Platz in Berlin seit dem Zweiten Weltkrieg zu stören. 300 Rekruten werden morgen vor dem Schloß Charlottenburg in Anwesenheit von Bundespräsident Roman Herzog ihr feierliches Gelöbnis abgeben. Eine Provokation, so der Berliner CDU- Bundestagsabgeordnete Jochen Feilcke, sei ein solches Gelöbnis wohl nur für diejenigen, „die von unserem Staat nichts halten“. Was an anderen Orten der Republik bereits zum Alltag gehöre, so Feilcke, „scheint in der Hauptstadt noch immer nicht selbstverständlich zu sein“. Während die Unterschiede der großen Parteien im politischen Alltagsgeschäft immer weiter verschwinden, gibt die nationale Symbolik immer noch genügend Zündstoff für Konflikte. Kritiker des Gelöbnisses, wie die SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Rennebach, sehen in dem Gelöbnis vor allem den „Versuch, mit militärischen Ritualen, Image und Ansehen der Bundeswehr zu retten“. Doch hinter dem vordergründigen Streit um Sinn und Unsinn des Spektakels verbirgt sich noch ein anderer Konflikt. Es ist die Frage nach der künftigen Identität Berlins.

Seit dem Fall der Mauer müht sich die wiedervereinigte Stadt um ein zeitgemäßes Image. Umsonst. Weder wurde Berlin Olympiastadt noch die erhoffte Drehscheibe des Ost-West-Handels oder die angestrebte Wissenschaftsmetropole. Doch statt wie von Ex-Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) gefordert, auf die kulturelle Vielfalt und Lebendigkeit der Metropole zu setzen, hat sich der Senat für eine andere „Vision“ entschieden: die „Hauptstadt Berlin“, deren Repräsentationsbedürfnis und Sicherheitsinteressen sich die zivile Alltagskultur der Stadt im Zweifelsfall unterzuordnen hat.

Großstadt oder Hauptstadt – der Dissens geht dabei quer durch die Parteien. So empörte der Versuch der Charlottenburger SPD- Bürgermeisterin Monika Wissel, das Gelöbnis unter Hinweis auf den schutzwürdigen Rasen des Schlosses zu verhindern, die hauptstadtsüchtige Springer-Presse derart, daß sich das Massenblatt B.Z. für diesen „Provinzialismus“ sogar entschuldigte. In die gleiche Kerbe hieb auch SPD-Umweltsenator Peter Strieder, der den Bezirk anwies, das Militärritual zu genehmigen. Begründung: „Das Gezerre, das um einen solchen Akt gemacht wird, ist einer Hauptstadt unwürdig.“

Zwar ist Berlin seit der Wende schnell zur Hauptstadt der Verweigerer geworden. Um einen Kampf um die Rekruten zwischen Bundeswehr und Kriegsdienstverweigerern geht es derzeit allerdings weniger. Es ist vor allem eine Schlacht um den öffentlichen Raum, der zwischen den Vertretern der Großstadt- und Hauptstadtoption ausgebrochen ist. Wer die öffentlichen Räume in Besitz nimmt, drängt der Stadt seinen Stempel auf. Daß das für eine antiurbane Bürocity ebenso wie für repräsentative Regierungsbauten oder eben die Bundeswehr gilt, weiß auch der Senat. Nicht umsonst hat die Große Koalition die Bundeswehr geradezu gedrängt, mit dem Fahneneid ins Stadtzentrum zu ziehen. Geht es nach dem Willen des Berliner CDU-Innensenators und Ex-Bundeswehrgeneral Jörg Schönbohm, müssen sich die Berliner künftig an „ein oder zwei Gelöbnisse jährlich“ gewöhnen.

Die Eroberung des öffentlichen Raums durch die Bundesregierung und ihre Symbole hat ihre Entsprechung dabei in der Säuberung der Stadt von allem, was den Insignien eines Regierungssitzes abträglich sein könnte: besetzte Häuser, Wagenburgen, Obdachlose. Berlin rüstet sich zur Hauptstadt.

Gleichwohl ist der Kampf um den öffentlichen Raum in Berlin noch nicht entschieden. Für die Bundeswehr wird die Spree-Metropole auch nach dem Gelöbnis noch immer militärische Diaspora sein. Und auch der Großteil der Berliner wird die Wiedereinführung des Stechschritts allenfalls mit einem Kopfschütteln quittieren. Für den Senat dagegen droht die einseitige Orientierung auf die Hauptstadt zur erneuten Amokfahrt in eine Sackgasse zu geraten. Schon heute verweisen Experten und ehemalige Regierungsmitglieder wie Ex-Bausenator Nagel darauf, daß der Umzug von Parlament und Regierung Berlin nicht den erhofften Aufschwung bringen wird. Wenn neben den Olympia- und Dienstleistungsträumen auch noch die Hauptstadtträume platzen, steht die Frage, was Berlin denn eigentlich sei, erst recht auf der Tagesordnung. Für die Entwicklung einer zivilen Stadtkultur könnte es dann freilich zu spät sein. Denn nicht erst 1999, sondern jetzt werden angesichts der leeren Kassen die finanziellen Weichen gestellt: Kultur, Bildung und soziale Einrichtungen müssen bluten, während für sinnlose Hauptstadtprojekte wie den Tiergartentunnel Milliarden ausgegeben werden. Uwe Rada

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