■ Wenn die Linke Maastricht akzeptiert, sagt sie auch ja zu einem unsozialen Europa, das nur vom Geld regiert wird: Sargnagel der EU?
Als die Regierungschefs der EG im Dezember 1991 in Maastricht zusammensaßen, um den entscheidenden Schritt zur Währungsunion noch in diesem Jahrhundert zu beschließen, glaubte niemand so recht an das Gelingen dieses Projekts. Knapp ein Jahr zuvor hatte eine Währungsunion, zwischen den damals noch real existierenden zwei deutschen Staaten nämlich, stattgefunden. Die war zwar politischer Geniestreich, mit dem die deutsche Einigung par force monetaire beschleunigt wurde, stellte sich aber sehr schnell als ein ökonomisches Desaster heraus, im Osten mehr als im Westen. Das wissen heute auch jene, die damals noch an blühende Landschaften glaubten.
Von dieser Erfahrung schockiert hatte die Deutsche Bundesbank bereits im September 1990 vor einer westeuropäischen Währungsunion gewarnt und ihre Bedingungen dafür (im Einverständnis mit der Bundesregierung) so hoch geschraubt, daß sie sicher sein konnte: kein vernünftiger Staatsmann in Westeuropa würde sie akzeptieren. Doch weit gefehlt. Zur Überraschung der deutschen Hardliner waren es die Regierungschefs der Schwachwährungsländer Spanien und Italien sowie Frankreichs, die jene Maastricht- Konvergenz-Indikatoren aus der Tasche zogen, die noch über die Konditionen der Bundesbank hinausgingen und daher von den deutschen Stabilitätsaposteln schlicht nicht abgelehnt werden konnten. Der Grund für diesen vorauseilenden Stabilitätsgehorsam ist einfach zu verstehen. Es war der Versuch eines Befreiungsschlags gegen die harte Bundesbank-Politik, die mehr und mehr den geld- und fiskalpolitischen Spielraum der Mitgliedsländer des Europäischen Währungssystems einschnürte und somit am Nerv der wirtschaftspolitischen Souveränität zehrte.
Was jedoch als Befreiungsschlag gedacht war, wurde zum Bumerang. Denn die Maastricht-Kriterien sind unerfüllbar. Nur das kleine Luxemburg, Liebling der steuerflüchtigen Kapitalanleger, hat derzeit eine Maastricht-konforme Inflationsrate. Wer den Maastricht-Kriterien genügen will, muß das politische Projekt eines sozialen Europa dem Götzen mit Namen Sparschwachsinn opfern. Dessen ökonomische Erfolgsbilanz ist nirgendwo positiv. Da fragt man sich natürlich, warum rational denkende Europäer eine Stabilitätsgemeinschaft beschlossen haben, die gar nicht von allen erreicht werden kann und wenn, dann zu einem extrem hohen Preis.
Nur wer ein Europa von Geldvermögensbesitzern schaffen will, dürfte dem Schraubstock von Maastricht Positives abgewinnen können. Tatsächlich machen die monetären Kriterien (ökologische und soziale gibt es nicht) nur innerhalb der globalen Währungskonkurrenz, in der Auseinandersetzung mit Nordamerika und Ostasien Sinn. Stabile Währungen sind die Bedingung für „Standortattraktivität“, auf die jene Geldvermögensbesitzer Wert legen, die das Geschehen auf den globalen Geld- und Kapitalmärkten bestimmen. Es ist jedenfalls ausgeschlossen, ein soziales Europa von Bürgern zu errichten, wenn man zugleich Maastricht folgt.
Nur Verblendete können meinen, 18 Millionen Arbeitslose ohne realistische Perspektive auf sinnvolle Beschäftigung und das Opfer sozialer Bürgerrechte im Zuge des Abbaus sozialstaatlicher Standards seien kein zu hoher Preis für eine Währungsunion. Schon die alten Griechen wußten, daß Geld eine Gesellschaft spalten kann. So kann Maastricht, ein Höhepunkt des europäischen Einigungsprozesses, zu dessen Sargnagel werden. Die mentale Vorbereitung darauf läuft bereits: Das „Europa der vielen Geschwindigkeiten“ mit „variabler Geographie“ und die Vorstellung vom „harten Kern des Kerneuropa“ bestimmen den Diskurs der Politiker von Major bis Schäuble. Die Schaffung einer Währungsunion, da dürfte Joscha Schmierer recht haben, ist ihnen eher Vorwand für etwas ganz anderes, nämlich dafür, die konservative Wende festzuklopfen. Aber heißt dies nun, daß eine „ernst zu nehmende Linke“ mit den Maastricht-Kriterien im Köcher gegen die Bonner Sparpolitik zu Felde ziehen, sich für Maastricht stark machen und auf diese Weise gegen die „nationalreaktionären“ Kräfte hierzulande der bundesdeutschen „gesellschaftlichen Mitte europäischen Halt“ in Brüssel geben müssen? Das sieht wie die Wiederholung jenes pfiffigen Versuchs von Felipe Gonzáles und Giulio Andreotti während der Maastricht- Verhandlungen im Jahre 1991 aus, päpstlicher als die Währungspäpste der Deutschen Bundesbank sein zu wollen. Nein, diese Währungsunion kann kein Projekt einer wie auch immer sich verstehenden Linken sein. Da ist für Solidarität ebensowenig Platz wie für ein sozial-ökologisches Reformprojekt. Was zählt, ist die monetäre Stabilität auf prinzipiell instabilen Finanzmärkten, ohne je Gewähr dafür erlangen zu können, daß die Stabilität „von den Märkten“ auch wirklich honoriert wird. Die Gründe für „financial instabilities“ könnte Joscha Schmierer übrigens bei „verstaubten Keynesianern“ oder bei aus der Mode gekommenen Marxisten nachlesen.
Aber Schmierer geht noch weiter. Die „gesellschaftliche Mitte von Lohnabhängigen“ sollte sich nicht nur „europäischen Halt in Brüssel“ suchen, sondern dabei auch ohne „sozialpolitische Argumente“ auskommen. In Italien hat in den 70er Jahren die KP eine ähnliche Linie des Verzichts verfolgt, dabei aber wenigstens noch „Gegenleistungen“ gefordert. Die Opfer wurden dankend angenommen, bei den Gegenleistungen war man ziemlich knauserig. Man hatte damals nicht berücksichtigt, daß Italien trotz aller Modernisierung eine kapitalistische Gesellschaft mit gegensätzlichen Interessen geblieben war. Das ist in Europa in den 90er Jahren nicht anders. Wenn man es vereinigen will, muß man zu allererst die gegensätzlichen Interessen identifizieren. Es ist nicht links, es ist nicht rechts, aber es ist auch nicht sehr intelligent, wenn man meint, eine monetäre Einigung in Europa herbeiführen zu können, ohne die Gegensätze auf diesem Kontinent sozialpolitisch ausgleichen zu müssen. Eine europäische Währungsunion ohne Sozialunion ist so widerspruchsfrei wie ein Intellektueller ohne Geist. Elmar Altvater
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