Wenn die Katze langsam dement wird, wird das Zusammenwohnen schwierig: Die gruselige Heidi
Zumutung
von Anja Maier
Gerade sitzt sie wieder vor mir. Schaut zu mir auf aus ihren ein bisschen gruseligen gelben Augen und legt den Kopf schief. Heidi.
Heidi ist meine Katze. Sie wohnt seit acht Jahren bei mir, und im Großen und Ganzen verstehen wir uns gut. Aber jetzt, wo sie erwachsen ist, will sie immer was von mir. Gestreichelt werden. Gekrault. Bespielt. Was soll das plötzlich?
Als sie damals bei mir einzog, war das schon einmal so. Eine winzige Katze mit noch winzigeren Zähnchen und unscharfen Krallen brauchte altersentsprechende Zuwendung. Ich gab sie ihr – im Tauschhandel dafür, dass sie brav das Katzenklo aufsuchte. Nach einem Vierteljahr war sie sich selbst genug. Sie erkundete das Gelände, wurde die Chefin im Garten und damit zu einer Tipptopp-Draußenkatze.
Fürs gute Katzengefühl brauchte sie morgens und abends eine Dritteldose Futter, jemanden, der ihr die Haustür öffnete und hin und wieder einen Besuch beim Tierarzt. Ich fand das gut.
Denn ich bin nicht so eine Kuschelkatzenmutter. Ich bin Tierdulderin.
Das schöne Wort umschreibt das pragmatische Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Man wohnt beisammen, der Mensch füttert das Tier. Ansonsten geht jeder seiner Wege. Hätte ich mir etwas anderes gewünscht, hätte ich mir einen Hund angeschafft. Von dem hätte ich vorher gewusst, dass er anhänglich ist, um nicht zu sagen devot.
Doch ich wollte eine Katze. Friedliche Koexistenz auf freundlicher Mensch-Tier-Basis. Von Schmuserei, freudigem Ums-Schienbein-Kringeln und neckischem Ins-Gesicht-Tatzen war nicht die Rede in meiner Tierdulderinnenwelt.
Das unterscheidet mich von jenen Menschen, die in Tieren nahe, geliebte Verwandte oder beste FreundInnen zu erkennen meinen. TierrechtlerInnen zum Beispiel.
Nicht falsch verstehen. Ich befürworte, dass es sie gibt, die TierrechtlerInnen. Sie sollen Freude und Erfüllung finden mit ihren bepelzten, beschuppten, gefiederten Freunden. Sie sollen sich umkringeln und betatzen lassen, dass es eine Art ist. Doch ich möchte das nicht.
Um ehrlich zu sein, finde ich es manchmal ein bisschen gruselig, wenn Heidi gähnt und dabei ihren tiefen rosafarbenen Schlund zeigt. Wenn ich ihr eine mit Blut vollgesogene Zecke aus dem Fell drehen muss. Wenn sie sich ausgiebig das Poloch leckt. Dies alles sind Bilder, die nicht bei Facebook gepostet werden. Warum ist das wohl so?
Ich mag Heidi. Wir wohnen beisammen seit acht Jahren, und ich sehe den noch kommenden Jahren freudig entgegen. Doch warum will sie plötzlich andauernd bekrault und beschmust werden? Gibt es in der Katzenentwicklung einen Punkt, ab dem Tiere regredieren? Eine Art Katzen-Demenz?
Diese Katze verwandelt sich vor meinen Augen in ein zwölf Wochen altes Kätzchen, das der ständigen Aufmerksamkeit und Nähe bedarf. Jetzt sitzt sie schon wieder vor mir. Wirft sich lang hin, wälzt sich auf dem Teppich und bietet mir ihren Bauch zum Kraulen dar. „Muss das sein, Heidi? Ich habe grad gar keine Zeit“, sage ich und wuschele ihr wie gefordert so ein bisschen durchs Bauchfell. Erst jetzt sehe ich das Blut an ihrem Maul. Und da drüben: die Reste einer ausgeweideten Maus. Ich sag’s doch: gruselig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen