: Wenn Taschentücher das Deutschsein beweisen
Ein lauer Juniabend in Passau an der Ortsspitze. Wir sitzen auf den von der Sonne gewärmten Pflastersteinen der Uferpromenade. Hinter uns ragt das Kinderheim auf, ein klotziger Bau aus dem Jahr 1762 mit schwarz vergitterten Fenstern. Von den Fresken des Stifterpaars links und rechts des Eingangstors sind nur noch die Köpfe farbig, der Rest ist grüngrau zerflossen. Seit 2002 lag das Hochwasser in der von Donau und Inn umspülten Innenstadt drei Mal über zehn Meter.
Wir schauen auf den schnell fließenden Inn, als uns ein junger Mann um ein Taschentuch für seine weinende Freundin bittet. E. kramt in ihrer Tasche und überreicht dem Mann eine Packung. „Ihr könnt sie behalten“, sagt sie mit ihrem amerikanischen Akzent. Als sich der Mann abwendet, klatscht sie sich mit ihrem Freund J., ebenfalls gebürtiger US-Amerikaner, ab. „Jetzt müssen sie dich einbürgern“, ruft der. E. strahlt. Sie wartet seit einem halben Jahr auf ihre Einbürgerung.
Passau
53.000 Einwohner:innen,
die historische Altstadt liegt auf einer Halbinsel. An deren Ende, der „Ortsspitze“, münden Ilz und Inn in die Donau. Im Juli findet dort das Eulenspiegel-Zeltfestival statt.
Ich schaue die beiden verständnislos an. E. habe gerade ihren Integrationswillen bewiesen, sagt J. Der junge Mann sei bestimmt ein Mitarbeiter des Ausländeramts gewesen, der sie getestet habe. „Deutsche haben immer Taschentücher dabei.“ Eiken Bruhn
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