■ Wenn Mieter zu Vermietern werden: Der Wohnungsmangel treibt seltsame Blüten: Weil keiner mehr seinen Hauptmietvertrag abgeben will, wird wild untervermietet, oftmals illegal. Ein Bericht vom heißen Geld mit kalter Miete
Wenn Mieter zu Vermietern werden
„Es war grauenhaft. Furchtbare Szenen, Tränen, Blut.“ Ulrich* erzählt, als ob er im Katastrophengebiet gewesen wäre, und irgendwie war er das auch. Hartumkämpft ist das Gebiet, auf dem sich sein Drama abspielt. Ein Terrain, wo die Spielregeln des menschlichen Zusammenlebens zunehmend außer Kraft gesetzt sind: Tatort illegaler Mietmarkt.
Ulrichs Unglück begann damit, daß er und seine Freundin Petra sich von ihrer Mitbewohnerin Simone trennen wollten. Sie einigten sich gütlich. Die Dreizimmerwohnung in der Berliner Wrangelstraße sollte getauscht werden gegen eine Zwei- und eine Einzimmerwohnung. Der Deal schien zu klappen: Auf ihr Zeitungsinserat hin meldete sich eine Frau mit Zweizimmerwohnung in der Reichenberger Straße, die mit ihrer Freundin mit Einzimmerwohnung in eine Dreizimmerwohnung zusammenziehen wollte.
Genial, jubelten alle Beteiligten. Kommt nicht in Frage, sperrten sich die Vermieter. Die können uns mal, befanden alle Beteiligten des Tauschgeschäfts und einigten sich auf vertrauensvoll-konspiratives Vorgehen. Der Ringtausch wurde vollzogen. Basis: die mündliche Absprache der Untermietverhältnisse.
Der Friede hielt zwei Wochen. „Die beiden Frauen haben sich richtiggehend zerfleischt“, sagt Petra. Fast täglich stand ihre Vormieterin, die zugleich ihre Vermieterin (Reichenberger Straße) wie ihre Untermieterin (Wrangelstraße) war, bei ihr auf der Matte, um zu jammern – und um den Stand der Renovierung der völlig heruntergekommenen Wohnung zu beäugen. Kaum war die Bude auf Vordermann, kündigte sie den Untermietvertrag. Sie und ihre Freundin hatten inzwischen nach einer Schlägerei Gehirnerschütterungen, sich außerdem gegenseitig angezeigt, Sachen geklaut, kurz: ein zerrüttetes Verhältnis.
Doch zurück in die alte Wohung konnten Petra und Ulrich auch nicht, denn Simone weigerte sich auszuziehen. „Klagt doch, dann verliert ihr die Wohnung ganz. Ist ja illegal untervermietet“, drohte sie den beiden. Die versuchten daraufhin, ebenso dreist Bleiberecht in der neuen, teuer renovierten Wohnung zu erzwingen. Doch dem Psychoterror der Vormieterin, der als Sozialarbeiterin nichts Menschliches fremd ist, waren sie nicht gewachsen. „Tägliche Drohanrufe. Dauernd stand sie mit Schlägertrupps vor der Tür und verkündete, sie ziehe nun ein und schlafe bei uns im Bett“, sagt Ulrich.
Eine Vorstellung, so furchtbar, daß die beiden entnervt aufgaben. Als illegale Untermieter hätten sie vor Gericht den Rauswurf bestenfalls hinauszögern können. Natürlich weigerte sich die Vormieterin auch, die Renovierungskosten zu übernehmen, was das Pärchen mit einer unbezahlten Monatsmiete und Telefonrechnung ahndete. „Nur ein Bruchteil unserer Kosten“, sagt Ulrich. Nun sind er und Petra stolze Hauptmieter einer gegen Maklercourtage vermittelten Einraumwohnung im Ostteil der Stadt, doch Hoffnung ist in Sicht: Bald zieht eine Freundin aus Berlin fort, deren Wohnung sie dann vielleicht haben können. Wenn nichts schiefgeht.
Petras und Ulrichs Schicksal ist in deutschen Großstädten mittlerweile nicht mehr so ungewöhnlich. Denn ein Hauptmietvertrag ist inzwischen wie ein Sechser im Lotto. Nicht etwa, daß die Mobilität gesunken wäre, wie das Melderegister beweist. Nur die Neuvermietungen gehen zurück. Denn die eiserne Regel in Zeiten von Wohnungsnot und hohen Mieten lautet: Hast du einen Hauptmietvertrag, gebe ihn niemals wieder her. Rund drei Millionen Wohnungen fehlen bundesweit, schätzt der deutsche Mieterbund den Notstand ein, der mittlerweile die wildesten Blüten treibt. Insbesondere in den Großstädten ist ein grauer Wohnungsmarkt entstanden, auf dem Wohnungen meist illegal weitervermietet werden. Das führt dazu, daß aus Mietern plötzlich Vermieter werden, und aus Untermietern Abhängige. Das Feindbild Vermieter hat seine Konturen verändert.
Ursprünglich war die Idee eine gute: Hauptmietverträge halten und untervermieten, damit die Vermieter bei der Neuvermietung den Mietpreis nicht erhöhen konnten. Dieses redliche Motiv ist mittlerweile fast ausgestorben. Je enger der Wohnungsmarkt wird, desto öfter versuchen Hauptmieter, an ihren Untermietern zu verdienen. Zum Beispiel an Jürgen. Der Theologiestudent wurde von seiner Freundin, mit der er zusammenwohnte, verlassen. Er mußte schnellstmöglich ausziehen. Über drei Ecken kam er an eine Einraumwohung am Ostberliner Prenzlauer Berg – ohne Bad für 250 Mark. Hals über Kopf zog er ein, und plötzlich kostete die eigentlich mietpreisgebundene Sozialwohnung 350 Mark. Jürgen hat die Mieterhöhung um über 40 Prozent ohne Protest hingenommen. „Sonst hätt' ich die Wohnung nicht bekommen, und irgendwie ist es für Westler ja immer noch billig.“ Außerdem sei sein Vermieter, der Ärmste, arbeitslos. Klaglos übernimmt Jürgen die Versorgungspflicht des Staates. Der soziale Verteilungskampf läuft privat ab. Kaltschnäuziger ist die Begründung von Thomas' Vermieter. „Der sagte mir, er hätte 12.000 Mark Schulden, die müsse er irgendwie abzahlen.“ Mir nichts, dir nichts schlug er 70 Mark auf die Miete des Eineinhalbzimmerlochs mit Außenklo in einem Weddinger Hinterhof auf, kassierte 1.200 Mark Kaution und Abstand für Sperrmüll vom Flohmarkt. „Das ist, neben der rechtlosen Situation, ein weiteres Problem der illegalen Untervermietung: Die Wohungen verwahrlosen total. Von den Hauptmietern kümmert sich niemand darum“, sagt Thomas, der einer Mitwohnzentrale 300 Mark für die tolle Vermittlung bezahlt hatte. Seinen Namen durfte er auch nicht an die Tür schreiben, und am Telefon meldet er sich nur mit „Hallo“. Als er nach einem Jahr auszog, wollte der in Münster lebende Hauptmieter, der noch weitere Wohnungen in Berlin untervermietet, die Kaution einbehalten. Thomas drohte mit dem Anwalt und bekam 700 Mark zurück; gerade genug, damit eine Klage nicht mehr lohnte.
Gabriele kam ihrem Vermieter erst auf die Schliche, als sie längst in dessen Wohnung wohnte. Die typischen geldgierigen Hausdrachen sind heutzutage gut getarnt. Ihr Vermieter ist um die 40, jung- dynamisch, und bot ein WG-Zimmer mit 22 Quadratmetern und einen Gemeinschaftsraum für 470 Mark. Das Zimmer war in Wahrheit 18 Quadratmeter groß, der Gemeinschaftsraum vom Hauptmieter belegt und die Wohnung eine Sozialwohnung, die knapp über 500 Mark kostete. Gabriele wohnt notgedrungen immer noch dort.
Doch auch Untermieter können Schweine sein. Beate, die nach Berlin gezogen ist, vermietete ihre Hamburger Wohnung unter. Ein wirklich herzliches, junges, relativ mittelloses Pärchen meldete sich, und bekam die Wohnung, sogar zum geringeren Mietpreis. Die Herzlichkeit hatte bald ein Ende, als die Miete nicht mehr überwiesen wurde. „Du hast doch so eine nette kleine Sozialmacke“, spotteten die Untermieter und drohten, den Vermieter von der illegalen Untervermietung zu unterrichten. „Wir zahlen, wenn wir können. Das muß dir reichen.“
Tatsächlich ist ein illegales Untermietverhältnis für alle Beteiligten gefährlich. Bekommt der Vermieter Wind von der Sache, darf er sofort kündigen – eine unsichere Situation für Haupt- und Untermieter. Der Mieterbund rät dringend, legale Untermietverträge abzuschließen; schließlich gibt es nur wenige Möglichkeiten des Vermieters, dieses Interesse abzulehnen (siehe Kasten). Der anständige Hauptmieter indes kann sich gegen unliebsame Überraschungen absichern, etwa wenn die Untermieter die Wohnung zerlegen. Und dem unanständigen Hauptmieter kann der anständige Untermieter zumindest die offiziellen Kündigungsfristen abtrotzen und gegebenenfalls gegen Wuchermieten angehen. Was wirklich schön ist, doch wer suchet, findet alles andere – und greift dennoch zu.
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