Weniger Platz für Dokus im TV: "Es ist ein Teufelskreis"
Durch zunehmenden Quotendruck und die ARD-Programmreform wird der Platz für Dokumentarfilmer knapp. Dabei sind deren Arbeitsbedingungen ohnehin prekär.
Es ist eine fragwürdige Auslegung des Bildungs- und Kulturauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sich da in der von den ARD-Intendanten beschlossenen Programmreform widerspiegelt. Fünfmal wird ab 2011 im Ersten wöchentlich getalkt, von Sonntag bis Donnerstag, weil die ARD die Qualitätsführerschaft im deutschen Fernsehen unterstreichen will - dafür fällt der Doku-Sendeplatz am Montag um 21 Uhr weg (taz vom 1./2. 12.).
"Das ist eine Katastrophe", sagt Heiner Stadler, Professor für Dokumentarfilm an der HFF in München. "Die Doku ist für das Profil des Ersten ungeheuer wichtig. Ohne sie lässt sich das Programm bald kaum noch von den Privatsendern unterscheiden." Doch nicht nur das langsame Verschwinden der Programmvielfalt ist ein Problem, sondern auch: die Situation der Dokumentarfilmer.
"Wir werden ohnehin schon zu schlecht bezahlt", sagt Thomas Frickel. Er ist der Vorsitzende der AG Dok, des Zusammenschlusses deutscher Dokumentarfilmer. "Seit Jahren gehen die Vergütungen nach unten. Viele haben den Punkt erreicht, an dem sie von ihrer Arbeit nicht mehr leben können." Der Wegfall des Sendeplatzes am Montag verschärfe die Lage weiter, der Konkurrenzdruck unter den vielen freien Filmemachern erhöhe sich. Gewerkschaftlich organisiert sind sie nicht, es gibt keine Tariflöhne, aber eine Menge Idealismus. "Das weiß die ARD ganz genau", sagt Frickel, und deswegen ziehe man die Löhne immer weiter nach unten, weil man darauf setze, dass die Dokumentarfilmer ihre Filme trotzdem machen - aus Überzeugung.
Martina Fluck ist Geschäftsführerin einer kleinen Filmproduktion in Schleswig-Holstein und konnte lange von Dokus leben. Das hat sich geändert, seit die Quotendiskussion Einzug gehalten hat bei den Öffentlich-Rechtlichen: "Mit dem Argument, es schaut niemand Dokumentarfilme, werden sie zu Zeiten gesendet, an denen niemand schaut - es ist ein Teufelskreis." Auch Fluck kann nur selten kostendeckend arbeiten. "Dass bei uns auch Existenzen dranhängen, dass von dem Geld Familien ernährt werden müssen, vergessen die Redakteure oft, glaube ich", sagt sie. Deswegen macht sie nun auch Werbung. Die ARD-Programmreform hat sie sehr verunsichert: "Wir haben in Deutschland einen hohe Dichte an Dokumentarfilmern, die staatlichen Hochschulen bilden jedes Jahr neue aus. Wo sollen die noch Arbeit finden?"
Natürlich existieren Alternativen. Professor Stadler von der HFF sieht in der Zusammenarbeit mit Museen eine Möglichkeit, unabhängig vom Fernsehen gute Dokumentationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und dabei kostendeckend zu arbeiten. "Seit einer Woche zeigt die HFF in der Münchner Pinakothek der Moderne in einer Ausstellung 88 Dokumentarfilme - die Leute stehen Schlange." Doch die Dokufilmer sehen es nicht ein, sich einfach so von den Öffentlich-Rechtlichen abzuwenden. "Das Programm der ARD muss frei von Quotendruck sein", sagt Thomas Frickel, "daran muss man sie immer wieder lautstark erinnern."Außerdem habe die ARD ja die etwa 7,5 Milliarden Gebühreneinnahmen pro Jahr, die eine angemessene Bezahlung eigentlich möglich machen müssten.
Also kämpfe man weiter. "Das Publikum des Ersten geht bald in Rente, und wenn der Sender nicht untergehen will, muss etwas Grundsätzliches geändert werden", sagt Professor Stadler. "Ich persönlich werde einen Teufel tun und einem jungen Studenten abraten, Dokumentarfilm zu studieren. Worüber sollen die Talkshows denn reden, wenn keine Dokumentarfilmer Themen ins Gespräch bringen?"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen