Wen kümmert schon die Gegenwart? : Der apokalyptische Reiter
Elon Musk will als „Longtermist“ größere Katastrophen verhindern als die Erderhitzung und ihre Folgen. Das führt häufig zu einer relativistischen Gegenwartsvergessenheit.
taz FUTURZWEI | Elon Musk geht es stets ums Ganze: Wie eine Art Doomsday-Prophet warnt der Unternehmer und Mitinhaber von Tesla, X und SpaceX immer wieder vor dem Untergang des Planeten – mal durch künstliche Intelligenzen, mal durch das Verglühen der Sonne. Was uns ob der freidrehenden Fantasie eines Einzelnen vielleicht nur ein betretenes Lächeln entlockt hätte, ist bei dem reichsten Menschen der Welt nicht so leicht zu ignorieren. Denn Musk macht seine Untergangsszenarien produktiv, gießt sie in eine leidenschaftliche (zuweilen ziemlich explosive) Himmelsstürmerei.
Mit der Superrakete Starship will Musk so nicht nur Menschen wieder auf den Mond befördern. Er will die Menschheit selbst zu einer, wie er sagt, „multiplanetaren Spezies“ machen, träumt von Marsmenschen beziehungsweise Menschen auf dem Mars. Die Visionen des Multimilliardärs klingen sowohl nach Science-Fiction als auch nach megalomanem Marketing für SpaceX. Denn, dass es Musk schlicht darum geht, mit seinem Großraketenprojekt immer neue Satelliten – aktuell sind es mehr als 5.000 – in das All zu bringen, um den Markt des satellitenbasierten Internets zu beherrschen, ist unbestreitbar. Zugleich ist aber die Dringlichkeit, mit der er von den avisierten „self-sustaining cities on mars“ und der menschlichen Zukunft im Universum schwärmt, nicht allein aus kurzfristigen, ökonomischen Interessen abzuleiten. Sie steht auch für eine neue Mentalität im Silicon Valley, die Probleme weniger lösen als vielmehr vor ihnen fliehen will.
Zukunft wichtiger als Gegenwart?
Während sich ein Teil der Tech-Elite angesichts allerlei Krisen – von Pandemien über Naturkatastrophen bis hin zu Kriegen – an Mark Zuckerberg orientiert, den Zusammenbruch befürchtet und Bunkeranlagen auf einsamen Inseln baut, denkt Musk langfristiger, eskapistischer: Er will nicht die Flucht unter die Erde, sondern von der Erde, erkennt im All einen dauerhaften Exit. Dabei folgt er auch einer quantitativen Moralphilosophie, die seit einigen Jahren vor allem an der Universität Oxford propagiert wird und sich gerade unter dem Label „Longtermism“ popularisiert.
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Europa und Nordamerika haben viel vorangebracht und einiges verbockt. Nun geht es so nicht mehr weiter. Aber wie dann? Es kann schon morgen oder übermorgen vorbei sein mit dem Westen.
Über den Zerfall einer Weltordnung
U. a. mit Joschka Fischer, Dana Giesecke, Maja Göpel, Jürgen Habermas, Wolf Lotter, Jörg Metelmann, Marcus Mittermeier, Ella Müller, Luisa Neubauer und Harald Welzer. Ab 11. Juni am Kiosk
Die Morallehre des Longtermisms geht dabei nicht auf Kants berühmte Formel zurück, nach der der „bestirnte Himmel über mir“ das Herz so erfülle wie das moralische Gesetz in mir, sondern auf den Oxforder Moralphilosophen Nick Bostrom, Direktor des von Musk mitfinanzierten „Future of Humanity Institute“. Sie ist in der Kombination aus utilitaristischer Ethik und Wahrscheinlichkeitsrechnung begründet und annonciert eine weitreichende Horizontverschiebung: Longtermisten konzentrieren sich nicht auf einzelne Menschen im Hier und Jetzt und die Bewältigung gegenwärtiger Krisen. Sie sind auf die – daher der Name – lange Frist aus, denken in Jahrtausenden und damit über größere Katastrophen und „existenzielle Risiken“, sogenannte x-risks, für das globale Ganze nach; über die Auslöschung der Menschheit als Spezies und wie diese – zum Beispiel mit Kolonien im All – abzuwenden wäre.
Gesellschaftlich fatales Denken
Was einer solchen Futurologie folgt, ist häufig eine relativistische Gegenwartsvergessenheit: In ihren Berechnungen schätzen longtermistische Denker, zum Beispiel, die Klimakatastrophe als weniger desaströs ein als die x-risks einer unzurechnungsfähigen KI oder eines Asteroideneinschlags – denn viele Menschen würden die Zukunft als Unwetter ja überleben. Rechnerisch scheint diese Sicht plausibel, gesellschaftlich ist sie fatal. Denn die Konzentration auf allzu zerstörerische Zukünfte lenkt von unmittelbaren Herausforderungen ab, von akuter Not und Verwüstung. Sie hilft so, Miseren zu rechtfertigen und verstärkt sie mitunter noch – wie man auch bei dem Tesla- und SpaceX-CEO sieht.
Galt Musk noch vor Jahren als progressiver Poster-Boy grün elektrisierender Technik, posiert (und postet) der Milliardär heute als eine Art apokalyptischer Reiter: Er fantasiert auf X vom Untergang der Menschheit, wünscht uns die himmlische Existenz im All und jagt genau dafür mit seinen Raketen tausende Tonnen giftiges Sauerstoff-Methan-Gemisch als Treibstoff in die Luft beziehungsweise Atmosphäre. Was er uns Erdenbürgern hinterlässt, ist dann nicht nur so manche (diskurs-)klimatische Trümmerwüste, sondern auch der x-fache Beweis dafür, dass die longtermistische Moral ziemlich kurz gedacht ist.