Weltbank: Tanz der Vampire: SALs in der Weltbank–Suppe
■ Darlehen für die Struktur–und Sektoranpassung von Entwicklungsländern nehmen rapide zu / Erste Tests in kleineren Staaten Lateinamerikas
Kredite für Strukturanpassungen sind eine recht neue Form der internationalen Anpassungsfinanzierung. Sie entstand Ende der 70er Jahre im Gefolge des zweiten Ölpreisschocks und des Nachfrage–und Preisverfalls für Exporte aus den Entwicklungsländern. Im März 1980 war es soweit: Die Stabilisierungsprogramme des IWF gefährdeten in nahezu allen peripheren Schuldnerländern das produktive Wachstum, die Zahlungsbilanzkrisen verschärften sich in einem solchen Maße, daß die Weltbank mit zwei neuen Kreditinstrumenten ausgestattet wurde: den Darlehen zur Strukturanpassung (Structural Adjustment Lending - SAL) und zur Sektoranpassung (Sector Adjustment Lending - SEL). Umstrukturierung Im Gegensatz zur bis dahin (und bis heute) vorherrschenden Finanzierung einzelner Projekte zeichnen sich SALs und SELs dadurch aus, daß damit die Umstrukturierung von Schlüsselbereichen der Wirtschaft oder gar der Ökonomie des Empfängerlandes insgesamt durch Darlehen teilfinanziert wird. Diese „schnell auszuzahlenden“ und mit relativ günstigen Zinsen und Laufzeiten ausgestatteten Darlehen sollen den Abbau des Leistungsbilanzdefizits finanzieren - eine Aufgabe, die eigentlich dem IWF vorbehalten war. Während der IWF das Einfuhrvolumen zu senken versucht, gibt es für SAL/SEL– finanzierte Importe Ausnahmegenehmigungen. Sie gelten insbesondere für Investitionsgüter und effiziente Technologien für die Anpassung. Allgemeine Zugangsvoraussetzung zu SAL und SEL ist der Abschluß eines Bereitschafts– (“standby“– ) Kreditabkommens mit dem IWF. Die sodann genehmigten Weltbank– SALs sollen eine Katalysator– Funktion übernehmen und den Kapitalstrom in die Industrieländer umkehren: Groß geschnürte Pakete von Umschuldungen und Finanzierungen unter dem Einschluß von Geschäftsbanken, den Regierungen der Gläubigerstaaten, ihrer Finanzinstitutionen und Entwicklungshilfe–Verwaltungen. So freute sich vor einigen Jahren das chilenische Finanzministerium, daß der erste Chile–SAL von 1985 über 250 Millionen Dollar weitere 500 Millionen Dollar an Krediten nach sich gezogen habe. Einige Zahlen: Von der Einführung im Geschäftsjahr 1980 (Juli 79 - Juni 80) bis zum Geschäftsjahr 1987 hat die Weltbank 9,976 Milliarden US– Dollar an nicht projektgebundenen Darlehen vergeben, davon mit 2,494 Milliarden Dollar rund ein Viertel für Lateinamerika und die Karibik. Wenn er auch seine hochgesteckten Ziele in keiner Weise er reicht hat - seit der Verkündung des Baker–Plans im Oktober 1985 ist es zu einer bemerkenswerten Expansion von SAL und SEL in Lateinamerika gekommen. Schließlich liegen 10 der 15 hochverschuldeten Ländern, die der US– Finanzminister mit 29 Milliarden Dollar „fresh money“ aus IWF, Weltbank und Geschäftsbanken versorgen wollte, in Lateinamerika. Wurden für 1985 erst 233 Millionen Dollar für SALs und 1,058 Milliarden für SELs bewilligt, so waren es 1987 schon 665 Millionen bzw. 3,453 Milliarden Dollar. Diese Summe belief sich immerhin schon auf rund 23 Prozent der gesamten Kreditvergabe der Weltbank. Lateinamerikanische Länder erhielten davon 1,54 Milliarden Dollar, mithin mehr als 37 Prozent. Und die Tendenz ist steigend. Zwei Konzepte Die traditionelle Anpassungspolitik des IWF stellt darauf ab, die Vergabe der standby–Kredite an geld–und währungspolitische Stabilisierungsmaßnahmen zu knüpfen. Die damit verbundenen „Anpassungskosten“, die im Brennpunkt der öffentlichen Debatte um 1980 herum standen, konnten nicht länger unberücksichtigt bleiben. So kam es - an sich schon seit 1980, verstärkt aber seit 1985 - zu einer Akzentverschiebung sowohl in den theoretischen Debatten wie auch zunehmend in der konkreten Ausgestaltung der Programme. Adjustment with growth, „Anpassung mit Wachstum“, heißt seither die wirtschaftspolitische Richtlinie bei der Vergabe von SALs und SELs. Die Diskussion um die Anpassungskosten machte - bei den SAL–Programmen seit 1987 - auch die Aufnahme einer Programmkomponente zur Armutsbekämpfung notwendig. Grundsätzlich sind zwei unterscheidliche Konzeptionslinien auszumachen. Einerseits wird, ganz in neoklassischer Manier, auf eine „Bereinigung“ (sprich: Liberalisierung) der Preise und der Produktionsfaktoren abgestellt - beide werden als verzerrt diagnostiziert. Die Preise sollen wieder die effizienteste Mobilisierung und Verteilung der ökonomischen Ressourcen steuern: interne Erzeugerpreise vor allem in der Landwirtschaft, Tarife für öffentliche Dienstleistungen, Inlandspreise von Importen, Lohnstrukturen des lokalen Arbeits marktes, Zinssätze auf dem inländischen Kreditmarkt, Dollar–Parität der Währung. Das soll erreicht werden durch die Aufhebung von Preiskontrollen, Tarifsubventionen und Importrestriktionen, durch die Absenkung der Reallöhne, die Liberalisierung des Finanzwesens und durch Abwertungen. Dazu gehört ferner das Zurückdrängen staatlicher Interventionen sowie eine auf Deregulierung und Reprivatisierung hinarbeitende „Rationalisierung“ des öffentlichen Sektors. Diesem restriktiven Nachfrage– Management traditioneller IWF– Prägung steht andererseits die exportstimulierende Angebotspolitik gegenüber. Anreize sollen durch neue, andere Subventionen geschaffen werden; die angebotspolitischen Instrumente sind vor allem fiskalischer, kredit– und währungspolitischer Art. Ferner wird das institutionelle System gezielt umgeordnet, um die (private) Kapital–Akkumulation wieder in Gang zu bringen. Damit soll in erster Linie die Herstellung international handelbarer Güter und Dienstleistungen weltmarktfähig gemacht werden: vor allem nichttraditionelle Exporte. Teilweise sollen auch Importe ersetzt werden - das gilt hauptsächlich für die Bereiche Energie und Investitionsgüter. Allemal soll sich jedoch die Produktion von Gütern Dienstleistungen für den Export mehr lohnen als die Herstellung von traditionellen agrarischen oder industriellen Produkten für den Binnenmarkt. Erste Erfahrungen in Lateinamerika Die Folgen in Lateinamerika sind wegen der kurzen Zeitspanne seit ihrer Einführung noch kaum einzuschätzen. Bis Mitte 1985 wurden erst sieben Strukturanpassungsdarlehen mit nur fünf Ländern abgeschlossen, die allesamt überwiegend rohstoff–und agrarexportabhängig sind, bis dahin auf einen zollgeschützen Binnenmarkt orientierten und von relativ geringer ökonomischer und politischer Bedeutung in Lateinamerika sind: Bolivien (Juni 1980), Guyana (Februar 1981), Jamaica (I: März 1982, II: Juni 1983, III: November 1984), Panama (November 1984) und Costa Rica (April 1985). Allesamt sind es eher kleine, von der Außenfinanzierung abhängige und damit leicht für SAL–Programme gefügig zu machende Ökonomien. Im Vordergrund standen hier: Liberalisierung des Außenhandels und von Finanz– Transaktionen, Umstrukturierung der Zolltarife und des Steuersystems zugunsten des Exportsektors, Modernisierung und Privatisierung der öffentlichen Institutionen. Doch das selbsttragende Wachstum wurden nicht erreicht. Durch die IWF–Auflagen mußten die Importe von Investitionsgütern und die investiven Staatsausgaben zusammengestrichen werden, und die Abwertung der Währungen sorgten für eine Beschleunigung der Inflation. Vor allem aber hinderten die weltwirtschaftlichen Strukturen die „Reaktivierung“ der Volkswirtschaften: Protektionismus, die Exportkonkurrenz zwischen Niedriglohnländern, neue Technologien und die Schuldendiensthypothek. Wenn es auch - wie vor allem in Jamaica und Costa Rica - gewisse Anzeichen für eine staatlich subventionierte Umstellung von Binnenmarkt–auf Weltmarktproduktion gibt, so dürften diese meist „einfachen“ Erfolge der Diversifizierung von Agrarprodukten und Lohnveredlung langfristig keine Gewähr für einen strukturpolitisch ausgereiften Weg aus der Verschuldungskrise bieten. Hinzu kommt, daß die Erfolge dieses „Wachstums ohne Entwicklung“ auf die neue Exportunternehmerschaft in diesen Ländern beschränkt bleiben. Die SAL–und SEL–Programme haben seit 1985 auch im übrigen Lateinamerika an Verbreitung gewonnen. Einerseits werden kleinere, besonders arme „Überlebens“–Ökonomien mit geringeren Mitteln zwischen 40 und 60 Milionen Dollar über Wasser gehalten. Solche Strukturanpassungen in „kleinerem“ Rahmen wurden in Bolivien (seit Mai 1986), Haiti (März 1987) und der Dominicanischen Republik (Juni 1987) vorgenommen. In Panama wurde die 1984 begonnene Strukturanpassung duch die Weltbank mit einem gewichtigeren SAL II über 100 Millionen Dollar im Dezember 1986 vertieft. Andererseits greift die Weltbank zunehmend auf selektive SEL–Operationen in Größenordnungen bis zu 500 Millionen Dollar zurück, die meist über nationale Gesellschaften zur Entwicklungsfinanzierung kanalisiert werden (vor allem in Mexiko). Durch detaillierte Modernisierungsprogramme sollen reformiert werden: - die Handelspolitik zugunsten einer effektiveren Diversifizierung der Exporte (Kolumbien seit Mai 1985, Mexiko seit Juli 1986, Argentinien seit Mai 1987), - die Förderung der Technologie und der Exportentwicklung für den Industriesektor (Mexiko, Januar und Juli 1987), - die Funktionsweise öffentlicher Unternehmen durch Rationalisierung und Privatisierung (Costa Rica seit 1985, Jamaica 1987, Mexiko 1987). Bedeutsam sind weiterhin die politisch umstrittenen SALs für Chile (I: Oktober 1985, II: November 1986, III: Dezember 1987). Mit diesen Darlehen über insgesamt 750 Milionen Dollar honorierte die Weltbank die Umstrukturierung der chilenischen Ökonomie, vor allem die gleichzeitige Zunahme von Ersparnissen und Investitionen sowie die Exportausweitung unter ausländischer Kapitalkontrolle. Schließlich deuten die schon 1987 abgeschlossenen SAL– Abkommen mit Uruguay und die SEL–Aktivitäten in Mexiko, Argentinien und Kolumbien sowie die SAL–Verhandlungen in Argentinien und Peru auf folgendes hin: Auch halbindustrialisierte lateinamerikanische Länder mit einem gewissen Verhandlungspotential und einer IWF/Weltbank– kritischen Position (wie vor allem Peru mit seiner bisher recht unorthodoxen Wirtschaftspolitik) scheinen nicht mehr davor gefeit zu sein, in ihr bisher binnenmarkt– orientiertes Entwicklungmodell umgreifende Anpassungsprogramme mit strukturveränderndem Anspruch einzuführen - also hin zu exportorientiertem Wachstum a la Weltbank. Ob das tatsächlich Entwicklung, nicht einfach bedingsloses Anpassung an den Weltmarkt bedeutet, läßt sich für Lateinamerika noch nicht sagen. Skepsis ist aber überaus angebracht.
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