Welt des Designs

■ Erstarrte Künstlichkeit: Shakespeares „Richard III.“ zum Thalia-Jubiläum inszeniert von Jürgen Flimm

Wo finden wir an dieser Jahrtausendwende Richard III., den kalt mordenden Vorteilsmenschen, der sich den Pfad zur Macht mit der Machete schlägt, der die Demütigungen, die er wegen seiner Häßlichkeit erfährt, im erkaltenden Blut seiner Opponenten und Mitwisser kühlt? In einer bunten Kunstwelt, wo von den tödlichen Konflikten nur ein brüchiges menschliches Beziehungsgeflecht übrig bleibt, oder nicht vielleicht doch im real existierenden Faschismus ehemaliger Satelliten- und Kolonialstaaten? Heißen unsere Richards nicht vielleicht Noriega, Pol Pot, Tudjman oder Duvalier? Oder anders gefragt, weil die Lösung dieses Inszenierungs-Problems ja sicherlich nicht in der einfachen Zeitversetzung liegt: wenn man die Frage des politischen Machtmißbrauchs am Theater stellt, warum auf einer aufgeblasenen Puppenbühne, die von Comicgestalten bevölkert wird, die selten mehr Beziehung zueinander aufweisen, als ihnen textlich zugeschrieben ist?

Welche Welt ist es, in der Jürgen Flimms Jubiläumsinszenierung des Königsdramas spielt? Es ist nicht die Shakespeares, es ist nicht die unsrige, es ist nicht die Welt der Diskussion und eigentlich auch nicht die der Kunst. Es scheint die Welt des Designs zu sein, des Designs von Dingen, von Menschen, von Beziehungen und von Politik. Eine festlich verpackte Spielwiese, auf der Gefühle und Gedanken als treffliche Muster behandelt sind, die auch Volker Rühe (der im Parkett saß) begeistern.

Dabei hatte Flimm den Schauspieler, den er sich immer für diese Rolle gewünscht hat, Hans Christian Rudolph. Er spielt den buckligen Königsbruder, der sich planvoll durch seine Familie zum Herrscher empormordet, als mitleidslosen Zyniker, der sich im Spott wie im Heuchel gleichermaßen bewährt. Doch daneben duldet der Thalia-Intendant (mit Ausnahme von Katharina Thalbach als Lady Anna) nur Staffage, die, imprägniert gegen jede Entwicklung von Konflikten, oft nur in der Form sprechender Garderobenständer anwesend ist.

Batmans Joker als Mörder Tyrell, falschgeschlechtliche Infanten in englischen Eliteschuluniformen, Rächer Richmond im Kricket-Dress mit Union Jack-Brust, historisierende Kleider neben heutigen Straßenkehrer- und gestrigen Militär-Uniformen geben einen ungefähren Eindruck von dem Kostüm-Amok, den Marianne Glittenberg hier veranstaltet. Ihr Gatte Rolf setzt den willenlosen Eklektizismus mit bunten Geschmacklosigkeiten der 80er Jahre fort: bühnenfüllendes rotes Leopardenmuster, schräge Balken und grelle Dreiecke, Leuchtschrift und tiefblaue, leere Räume. Ist das die Welt, wie sie durch die Scheiben der Mercedes S-Klasse zur Kunst wird?

Und wo findet man Jürgen Flimms erklärte Haltung, außer auf Gemeinplätzen, wo sie als solche überhaupt nicht mehr bemerkt werden? Wenn das Morden als affektloses Verschwinden von Schachfiguren inszeniert wird, wenn die diffizil verfeindete Hofschranzen-Gesellschaft von jedem Charakter entsorgt worden ist, und Shakespeare im Schnodderton lediglich wie die Besohlung unter einer protzig gekleideten Erzählung wirkt, dann läßt sich der Unterhaltungsgedanke breit auf dem harten Stuhl der Unterscheidungen nieder und verdeckt ihn schließlich ganz.

So entsteht Konsens-Theater, das sich in Traumbilder flüchtet und die Verantwortung für „Wahrheit und Werte“ (beklatschte Forderung des Festakt-Redners Wolf Lepenies) ausschließlich an den Textautor verweist. In diesen bezugslosen Weiten kommen auch gestandene Schauspieler wie Christoph Bantzer, Stefan Kurt und Hildegard Schmahl nicht vom Fleck. Der Versuch aus dem stilisierten Schicksal mit Persönlichkeit auszubrechen, etwa wenn Hildegard Schmahl als trauernde Mutter Elisabeth zusammenbricht, wirkt dann plötzlich völlig deplaziert.

Allein Rudolph vereint den im Stück angelegten Dipol Argument und Sinnlichkeit, den die Inszenierung nie findet. Er darf Seele haben, er gibt der Wendung vom Schmerz zum Wahnsinn, die über den kalten Haß führt, ein Bild. Doch der Kosmos um ihn herum ist wie vom Illustrator generiert und weiß nichts von menschlichem Unrecht. Also: Warum dann Richard III. inszenieren? Till Briegleb