Weiterdenken mit Habeck beim taz lab : Zweiter oder Erster?
Vizekanzler Robert Habeck greift beim taz lab gedanklich weit über das Biotop der Grünen hinaus – doch er schweigt zu der entscheidenden Frage.
taz FUTURZWEI | Einen „Klimapolitik-Backlash“ kann Vizekanzler Robert Habeck beim taz lab in Berlin nicht erkennen. Im Gegenteil, er hat in einem als „Weiterdenken“ apostrophierten Gespräch mit taz FUTURZWEI-Chefredakteur Peter Unfried beim jährlichen Kongress der taz darauf hingewiesen, dass der European Green Deal mit seinen Gesetzen, die jetzt in allen Mitgliedsländern umgesetzt werden müssen und die klimapolitische Bilanz der Ampel mehr für den Klimaschutz in ganz Europa gebracht haben als die Politik aller vorherigen Regierungen zuvor. Habeck nannte die Abkopplung vom russischen Gas, den Ausbau der alternativen Energien, die Versorgungssicherheit mit Strom trotz Abschaltung der Atomkraftwerke, das Gebäude-Energie-Gesetz, die Novellierung des Klimaschutzgesetzes und die staatliche Förderung für Investitionen in Zukunftstechnologien.
Aus Sicht des Wirtschafts- und Klimaministers ist es ganz normal, dass in dem Moment, wenn jenseits des abstrakten Verantwortungsgeredes die konkreten Schritte des Wandels beginnen, Wirkung im Lebensalltag zu zeigen, die Leute merken: Jede Zukunftspolitik hat einen Preis, den alle bezahlen müssen. Daraus folgt im Moment Gereiztheit, polemische Ablehnung, ja sogar Hass auf die Grünen insgesamt, aber auch auf den Macher dieser Politik, also Habeck.
Am gemeinsamen Gelingen orientieren
Regierungen, so sein Kommentar dazu, werden nicht dafür gewählt Entscheidungen auszuweichen, sondern die demokratisch legitimierte Herrschaft auszuüben, zu entscheiden, zu regieren. Die Regierung wird in den nächsten zwei Jahren in den sich artikulierenden Widersprüchen und trotz der populistischen Strömungen rechts und links an ihren Zielen festhalten. Gewählt wird schließlich erst im Herbst nächsten Jahres. Bis dahin, hofft Habeck, werde sich die im Augenblick negative Performance der ganzen Regierung wieder in breitere Zustimmung für die Grünen umkehren. Eine Voraussetzung dazu sei es allerdings, dass die Grünen selbst die soziale Frage scharfstellen. Für die entlang der Einkommensunterschiede in der Gesellschaft ungleich verteilten Belastungen der Klimapolitik werden neue Antworten gebraucht.
Habeck kritisierte in dem Gespräch, dass die identitäre Vielfalt der Gesellschaft sich im Moment scharf gegeneinander abgrenze statt sich in der Verschiedenheit anzuerkennen. Das zerreiße die Gesellschaft als Ganzes. In einer Gesellschaft der Vielfalt kann es für ihn ein identitäres „Wir“ nicht geben. Ein „Wir“ müsse am gemeinsamen Gelingen orientiert sein. Dazu gehört für ihn, dass die mit Vorbehalten besetzten Begriffe von Freiheit und Verantwortung mit regulativer, praktischer Vernunft neu ausbuchstabiert werden. Er hält es für einen Fehler, einen damit ausbuchstabierten und aufgeklärten Patriotismus nicht selbst zu pflegen, weshalb er für die populistischen Rechten in seiner herkömmlichen, chauvinistischen Variante zum nützlichen politischen Instrument werde.
taz FUTURZWEI N°28: Weiterdenken
Wer ist „Der kleine Mann“, wer sind „Die da oben“, wie geht „Weltretten“, wie ist man „auf Augenhöhe“ mit der „hart arbeitenden Bevölkerung“? Sind das Bullshit-Worte mit denen ein produktives Gespräch verhindert wird?
Über Sprache und Worte, die das Weiterdenken behindert.
U.a. mit Samira El Ouassil, Heike-Melba Fendel, Arno Frank, Dana Giesecke, Claudia Kemfert, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Bernhard Pörksen, Bernhard Pötter, Florian Schroeder, Paulina Unfried, Harald Welzer und Juli Zeh.
Das war der Schlusspunkt des wie immer anregenden, unterhaltsamen, am Ende aber doch unbefriedigenden taz lab-Gespräches mit Habeck.
Zurück zur Volkspartei?
Der Vizekanzler greift zwar gedanklich weit über das grüne Biotop hinaus und in die unangenehme Realität hinein, doch er schweigt an diesem Samstagmorgen zu der entscheidenden Frage, wie er die Grünen auf ihrem Weg zu der führenden Mehrheits- oder Volkspartei in der Republik führen will. Zunächst das Positive: Habeck hat darauf hingewiesen, dass die Grünen schon lange keine Öko- oder linksalternative Klientelpartei mehr sind. Sondern er sie in der Verantwortung für alle sieht. Er selbst setzt mit seinen Reden und Auftritten in der Ukraine, in den Fragen von Krieg und Frieden, Sicherheit und Freiheit, Sicherung der Demokratie gegen ihre illiberalen Herausforderer überzeugende, über die Politik der Ampel hinausweisende Maßstäbe.
Als Wirtschaftsminister ist es Habeck auch gelungen, der deutschen Wirtschaft Perspektiven in die emissionsfreie, digitale Industrie zu geben. Was in der allgemeinen Krisenstimmung der Mediengesellschaft bisweilen untergeht: Soviel Zustimmung der Wirtschaft zu so einer historischen Transformation hat es in der Geschichte des Kapitalismus bisher noch nie gegeben. Soviel Bereitschaft die deutsche Rolle neu zu bestimmen – und auch jenseits von Russland und China zu festigen.
Verpasst, einen Führungsanspruch anzumelden
Aber jetzt kommt das Aber: Habeck hat beim taz lab auf seine guten Gespräche mit den Umweltverbänden hingewiesen, doch die große Wirtschaft, die mehr und mehr grün tickt und ohne die es keine erfolgreiche Klimapolitik geben wird, hat er nicht gebührend adressiert. Auch hat er es versäumt, offen einen Führungsanspruch der Grünen und für sich selbst in der Republik anzumelden. Dabei könnte es sein, dass die Grünen gerade deshalb an Vertrauen und Zustimmung verlieren, weil sie dabei zu sein scheinen, sich schon jetzt auf die Rolle des antreibenden Juniorpartners in der zweiten Reihe einzurichten. Die historische Wandel von der fossilen zur postfossilen Welt braucht nicht nur den zurecht immer wieder betonten, inhaltlich aber oft leeren Hinweis auf den demokratischen Diskurs, in dem sich Mehrheiten durch die besseren Argumente wie von selbst herstellen sollen. Wie es auch in vergleichbaren Momenten der Zivilisationsgeschichte war, braucht es jetzt Menschen, die bereit und in der Lage sind, diesen Wandel anzuführen und durchzusetzen. Wenn man Robert Habeck in der tazkantine (und andererorts) sprechen hört, kann man schon auf die Idee kommen, dass nicht Scholz, Merz, Lindner oder Wagenknecht, sondern er das Zeug hätte zu dem Kanzler, den es jetzt braucht. Wenn er, wenn die Grünen wirklich überzeugt sind, die besseren Argumente zu haben, dann müssen er und sie auch bereit sein, sie führend zu gebrauchen und den Anspruch im kommenden Wahlkampf klar zu artikulieren. Als ewiger Zweiter können die Grünen wieder in Grundsatzopposition verharren oder sogar im gesellschaftlichen Aus landen, wie bald schon die FDP.
UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.
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