piwik no script img

Weißrussischer Oppositioneller"Sie können mich jederzeit festnehmen"

Der Westen muss endlich Wirtschaftssanktionen gegen Weißrussland verhängen, sagt Mikita Lichawid. Ein Gespräch über seine Haftstrafe, Repressionen und Angst.

Oppositions-Proteste in Minsk, Weißrussland. Bild: dpa
Interview von Barbara Oertel

taz: Herr Lichawid, Sie waren neun Monate inhaftiert. Wie waren die Bedingungen?

Mikita Lichawid: Ich war in einem Straflager. In einer Zelle sind bis zu zwölf Häftlinge untergebracht. Dort hältst du dich 24 Stunden auf. Es gibt keine Matratzen, keine Bettwäsche, du schläfst auf einer Art Platte. Es ist die ganze Zeit dunkel, denn im Raum brennt nur eine schwache Birne. Überall laufen Ratten herum.

Sie wurden zu dreieinhalb Jahren Lager verurteilt. Wie kam es zu Ihrer plötzlichen Freilassung?

Sie holten mich an einem Morgen ab, und ich dachte, ich würde an einen anderen Ort gebracht. Als wir im Verwaltungsgebäude ankamen, war mir schon klar, dass ich freikommen würde. Präsident Lukaschenko hatte ein entsprechendes Dekret unterschrieben. Das war übrigens ein weiterer Verstoß gegen das Gesetz, denn ich hatte nicht um eine Begnadigung gebeten.

Wie leben Sie jetzt, haben Sie irgendwelche Auflagen?

MIKITA LICHAWID

, 21, Mitglied der "Bewegung für Freiheit" des Expräsidentschaftskandidaten A. Milinkewitsch. Wegen Teilnahme an Protesten im Dezember 2010 wurde er zu dreieinhalb Jahren Lager verurteilt.

In Belarus kann ich jetzt weder arbeiten noch studieren. Es gibt für mich keinerlei Spielraum. Sie können mich jeden Moment festnehmen und wieder ins Gefängnis schicken. Dass ich jetzt nach Deutschland gekommen bin, um über die Situation in Belarus zu berichten, kann die Staatsmacht als Vorwand nehmen, um mich wieder zu isolieren.

Haben Sie Angst davor, wieder inhaftiert zu werden?

Diese Angst habe ich nicht. Diejenigen, die im Gefängnis sitzen, sind auch Menschen, viele davon sind sehr intelligent und gut ausgebildet. Von deren Fähigkeit zu kommunizieren könnte unsere politische Führung so einiges lernen. Und überhaupt: Mehr als lebenslänglich können sie mir sowieso nicht geben, und hinter meine Überzeugungen gehe ich nicht zurück.

Das System setzt ausschließlich auf Repressionen gegen seine Kritikern. Wie lange kann das noch so weitergehen, und wie lange kann sich Lukaschenko noch an der Macht halten?

Wenn Russland Lukaschenko weiterhin unterstützt, wird sich das Regime noch lange halten. Doch Moskau hat bereits begriffen, dass allein das Reinpumpen von Geld nach Belarus nicht die gewünschten Resultate bringt. Moskau hat deshalb jetzt damit angefangen, die profitträchtigsten belarussischen Firmen aufzukaufen.

Seit den gefälschten Präsidentenwahlen ist ein Jahr vergangen. Wo steht die belarussische Protestbewegung heute?

Eine große Anzahl von Menschen ist in diesem einen Jahr dem Repressionsapparat zum Opfer gefallen. Die Belarussen sind eingeschüchtert. Dennoch gibt es Protestpotenzial, weil die wirtschaftliche Lage sehr schlecht ist. Mittlerweile sind auch Menschen bereit zu demonstrieren, die sich vorher noch nie an solchen Aktionen der Opposition beteiligt haben.

Sogar ein Großteil der Leute, die bei den letzten Wahlen noch für Lukaschenko gestimmt haben. Das Problem ist ein anderes. Die Opposition wurde durch die Repressionen stark geschwächt, viele sitzen im Gefängnis. Das ist einer der Gründe dafür, dass es heute keine Vertreter der Opposition gibt, die die belarussische Gesellschaft konsolidieren könnten. Das heißt Menschen auf die Straße bringen.

Wie blicken die Belarussen auf die jüngsten Ereignisse in Russland?

Wir empfangen in Belarus viele russische Fernsehkanäle. Dort wird gezeigt, wie gut in Russland alles ist. Dass das Volk die Partei der Staatsmacht unterstützt. Doch das ist eine Lüge. Die Unzufriedenheit der Menschen ist groß, sie wollen Veränderungen.

In Russland existiert ein autoritäres Regime. Und das Vorgehen der Staatsmacht ist genau das gleiche, wie es in Belarus schon seit Jahren praktiziert wird. Die Diktatur, die in Belarus herrscht, breitet sich auch in anderen Regionen Osteuropas aus. Das ist sehr gefährlich. Wenn es einen kleinen Zaren in einem Land gibt, das weder Gas und Öl noch Atomwaffen besitzt, ist das das eine. Aber wenn sich ein Regime mit einer solchen Weltsicht in Russland etabliert, ist das etwas ganz anderes.

Wie beurteilen Sie die Politik des Westens gegenüber Belarus?

Der Westen behauptet zwar immer, dass die Freilassung der politischen Gefangenen im Verhältnis zu Belarus Priorität habe. Doch außer mit Worten und ein paar Resolutionen wird dafür nichts getan.

Aber was sollten die westlichen Staaten denn konkret tun?

Sie sollten Wirtschaftssanktionen verhängen. Das heißt zum Beispiel den Warenaustausch zwischen westlichen Ländern und belarussischen Firmen begrenzen. Denn genau deshalb werden belarussische Firmen ja mit russischem Kapital gekauft, weil Moskau sie als Brückenkopf für einen eigenen Zugang zu den westlichen Märkten benutzen will.

Im Falle von Wirtschaftssanktionen würde das Interesse Moskaus an belarussischen Firmen rapide sinken. Und Lukaschenko wäre auf seine eigenen Probleme zurückgeworfen. Das würde auch sein repressives Vorgehen innerhalb des Landes erschweren.

Kürzlich wurden zwei junge Männer in Belarus zum Tode verurteilt. Sie sollen für den Bombenanschlag auf eine Minsker U-Bahn im vergangenen April verantwortlich sein, bei dem zwölf Menschen getötet wurden. Glauben Sie, dass die beiden wirklich hingerichtet werden?

Schwer zu sagen. Lukaschenko ist machtversessen, und es imponiert ihm, dass er diese Menschen begnadigen kann oder eben auch nicht. Es gefällt ihm, dass er das Leben dieser beiden in seiner Hand hat. Der Fall wirft eine Menge Fragen auf, die bis jetzt nicht beantwortet sind.

Zum Beispiel ob Geheimdienste an dem U-Bahn-Attentat beteiligt waren. Daher befürchte ich, die beiden werden erschossen. Wenn irgendwelche Geheimdienste hinter den beiden Verurteilten standen, ist es besser, sie umzubringen, damit diese Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Wie man bei uns so schön sagt: Einen Toten kannst du nichts mehr fragen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • K
    Kaufmann

    Na, jetzt wird´s dunkel über der TAZ.

     

    Über Marie-Luise Beck, Amnesty International und den Verirrungen der Europäischen Volkspartei brennen bei der Zeitung zwischen den Festtagen alle Lampen durch.

     

    Die Junge Front ist ein militantes christlich-konservatives Bündnis, dass sich den Umsturz des Systems auf die Fahnen geschrieben hat und durch spektakuläre Aktion auf sich aufmerksam macht. Ihr Ziel ist ein christlicher Gottesstaat.

     

    Und da steht Frau Oertel und weint nicht. Kaum zu glauben.