Weihnachten mit der Bahn: "Sollen sie uns doch raustragen!"
Wer über die Feiertage mit der Bahn von und nach Berlin unterwegs war, brauchte Geduld, warme Kleidung, viel Reiseproviant und Humor. Denn alles war möglich. Sieben Erfahrungsberichte.
Glatte Erpressung
"Sehr geehrte Fahrgäste. So werden wir den Bahnhof Berlin-Südkreuz nicht verlassen. Ich bitte alle, die keine Reservierung haben auszusteigen."
Gelächter und Empörung. "Eine Frechheit. Ist jemand von der Presse anwesend?", ruft die Mittvierzigerin mit Münchner Dialekt. Ich lehne im Gang zur ersten Klasse und rühre mich nicht.
Mittwochabend im letzten Zug des Tages Richtung München. Er fährt nur in halber Länge, und ja, es ist voll. Nicht so voll wie die Berliner S- und U-Bahnen. Aber für einen ICE beachtlich. Ich will nur nach Leipzig, in zwei Stunden würde noch ein anderer Zug fahren, daher bin ich entspannt. Im Gegensatz zu vielen anderen, die um ihre Ankunft im Süden fürchten. "Wir bleiben alle hier. Sollen sie uns doch raustragen!", skandiert der ältere Mann, der etliche Koffer um sich geschart hat. Ein Hauch von Gorleben weht durch den Zug.
"Nochmal: Wir werden nicht losfahren solange nicht ein paar Leute aussteigen." Die Durchsage wiederholt sich in nur leicht abgewandelter Form im 5-Minutentakt. Der Zugchef klingt gefestigt und entschlossen. Wirksam sind seine Drohungen nicht. Ich sehe niemanden aussteigen. Stattdessen quetschen sich einige Fahrgäste durch die vollen Gänge auf der Suche nach einem Verantwortlichen. Erfolglos. Wäre ich DB-Mitarbeiter, ich würde mich dem Mob auch nicht hingeben. Vorweihnachtlich gestresste Fahrgäste sind zu allem fähig.
Nach einer Stunde bewegt sich der Zug plötzlich. Langsamer als sonst - aber er fährt. Bis Bitterfeld. Wer Richtung München will, soll hier aussteigen. Auf dem Nachbargleis steht ein leerer ICE für uns bereit. Wir steigen ein, jeder hat einen Zweierplatz für sich allein. Jetzt entspannen auch die Münchner Fahrgäste. PAUL WRUSCH
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No Risk, No Fun
Es war ja klar, dass es riskant sein würde, kurz vor den Feiertagen noch mal von Berlin und der Familie wegzufahren und dann am Heiligabend mit dem Zug wieder zurück zu wollen. Im "heute Journal" hatte Claus Kleber ja noch gesagt, Heiligabend solle man dort sein, wo man notfalls auch das gesamte Weihnachtsfest verbringen könnte. Aber ich wollte sie ja alle noch sehen vor den Feiertagen, die Verwandten und Freunde im Ruhrgebiet - also los, no risk, no fun. Und jetzt ist das so, mit dem "no fun".
Dabei steht der Zug noch nicht mal. Er fährt ja - aber in die falsche Richtung, zurück nach Hannover. Immer wieder mal hatte unser Ersatz-IC aus dem Ruhrgebiet gestoppt - aber immer nur für einige Minuten. Fürsorglich sagte unser Zugbegleiter jedes Mal durch, dass es sich um eine eingefrorene Weiche oder "witterungsbedingte Störungen im Betriebsablauf" handelte. Das half uns im Abteil zwar praktisch nicht weiter, gab uns aber das Gefühl: Da kümmert sich einer. Und langsam aber sicher zuckelten wir ja auch immer weiter gen Osten. Herford, Bielefeld, Bad Oynhausen, Hannover. Da schien zwischenzeitlich sogar das Krippenspiel in St. Otto am Nachmittag noch in Reichweite.
Die Abteil-Kollegen hatten schon übers Internet und von besorgten Verwandten Infos bekommen, Richtung Berlin sei alles gesperrt. Jetzt aber, in Lehrte, ein paar Kilometer östlich von Hannover, ist tatsächlich Feierabend. Züge mit Loks könnten wegen eingefrorener Oberleitungen nicht mehr fahren, heißt es, nur noch ICEs. Also zurück nach Hannover. Jetzt geht es nicht mehr bloß ums Krippenspiel, jetzt geht es um Heiligabend in einem einsamen Hotelzimmer in Niedersachsen oder am heimischen Weihnachtsbaum.
Doch in Hannover geht es tatsächlich weiter. Und es gibt sogar noch einen Sitzplatz im ICE. Immer neue Durchsagen während der Fahrt legen nahe, dass wir hier die letzte Hoffnung sind, der letzte Verbindungsstrang in den Osten. Nach Leipzig und Dessau soll nix mehr direkt gehen. McPom scheint so abgeschnitten wie Sibirien. Als der Zug im Hauptbahnhof einfährt, ist da gar kein Groll mehr auf die Bahn - die hat mich immerhin noch Heiligabend nach Hause gebracht. Und zur Bescherung reicht es auch noch. STEFAN ALBERTI
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Zu wenig zu spät
Kurz vor Wolfsburg resigniert das Mädchen im Großraumwagen 23, ICE 544 von Berlin-Ostbahnhof nach Düsseldorf: "Ok. Bleib da. Nein, versuch' nicht durchzukommen. Du schaffst es nicht." Ihre Freundin steht zwei Wagen hinter uns eingekeilt, mit allen Koffern. Nur ein paar dutzend Meter vor den reservierten Plätzen - und doch eine Ewigkeit.
Der zweite Zugteil, der in Hamm abgekoppelt wird, ist am Donnerstagabend ausgefallen. Also: Gleiche Menge Mensch, halb so viel Zug, die Leute stehen Jacke an Jacke. Beim Stopp in Hannover jagt eine Frau auf einen frei gewordenen Sitz zu. Sie schafft es nicht. "Oh nein, jetzt hab ich meinen Platz auf dem Boden vor dem Klo aufgegeben." Ein Kind jammert, ein Student zieht seinen Pulli aus, der Sauerstoffgehalt sinkt. Der Zugchef pustet verächtlich ins Mikrophon, ihm lägen keine - pffffh! Keine! - Informationen über Anschlüsse vor. Telefonanlage abgestürzt. Meine Freundin meldet aus einem anderen ICE: "Die Elbe ist überschritten."
Im Hauptbahnhof Düsseldorf spreche ich beim Servicepoint vor, ab einer Stunde Verspätung bekommt der Kunde ein Viertel des Fahrpreises zurück. Die freundliche Mitarbeiterin klackert mit der Tastatur, schaut auf den Bildschirm und strahlt: "Der ICE 544 war ja nur 55 Minuten zu spät. Kann ich sonst noch was für Sie tun?" ULRICH SCHULTE
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Geschenke, Geschenke
Die größte Kalamität zwischen Berlin und Hamburg waren zwei Koffer. Zwei gigantische Koffer. "Alles Geschenke", stöhnte die zierliche Blondine, die hinter diesem Monster-Gepäck auftauchte. Weihnachten ist Arbeit, das zeigte sich einmal wieder.
Niemand wusste, wo man diese Geschenk-Trumps in einem überfüllten Zug lassen könnte. Sie nicht, der Schaffner auch nicht. Schließlich kamen sie gemeinsam auf eine naheliegende Idee: Warum die Riesen-Koffer nicht unter einen Tisch im Zug-Restaurant stellen? Da standen sie dann gut und sicher für die nächsten 1.45 Minuten bis zum Hamburger Hauptbahnhof. Denn Verspätung gab es fast gar keine, obwohl die Prignitz im Schnee versunken war. Die zierliche Blondine hatte sogar beste Aussicht, denn für weitere Gäste gab es ja keinen Fußraum mehr an ihrem Tisch. ULRIKE HERRMANN
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Die Hammermethode
Am 1. Weihnachtstag sind offenbar nicht nur Schneeverwehungen oder schockgefrostete Weichen in der Pampa das Problem im Regionalverkehr der Bahn, sondern die innerstädtischen Berliner Strecken. Reihenweise meldet die computergesteuerte Damenstimme morgens um neun im Bahnhof Alexanderplatz Verspätungen der Regionallinien - oft wegen zu dichten Verkehrs. Manche Züge entfallen auch ganz. Der Tipp: "Weichen Sie auf die S-Bahn aus." Die sind mutig, die Computer!
Einen guten Teil seiner Verspätung handelt sich der Regionalexpress nach Magdeburg ein, weil es sich zwischen Friedrichstraße und Hauptbahnhof ein ICE bequem gemacht hat und die Strecke nur eingleisig zu befahren ist. So werden aus den 5, 15, 25 schließlich mehr als 30 Minuten Verspätung. Da ist es dann auch gar nicht mehr so schlimm, wenn der Zug auf den letzten Kilometern vor Magdeburg außerplanmäßig in jedem Nest hält und die Zugtüren meist erst schließen, nachdem der Schaffner persönlich mit einem Hammer das Eis weggeklopft hat.
Auf der Rückfahrt nach Berlin am Abend - 40 Minuten Verspätung bei der Abfahrt, aber immer noch besser als der nächste Zug, der ganz ausfällt - sitzt dann ein Mann neben uns, der sich nach einer Weile als Bahn-Mitarbeiter zu erkennen gibt. Er plaudert ein bisschen über die Leiden des Mehdorn-geplagten Unternehmens. Wird sich jetzt - nach dem Sommer- und Winterchaos - etwas ändern? Das sei noch ein weiter Weg mit dem neuen Chef Rüdiger Grube, der sei ja auch ein Mehdorn-Zögling. Aber er habe das Gefühl, da bewege sich etwas.
Und das ist ja schon viel bei der Bahn. BERT SCHULZ
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Kühles Gemüt
Zweiter Feiertag, 6.51 Uhr Stuttgart Hauptbahnhof: Der ICE 694 nach Berlin-Ostbahnhof fühlt sich an, als wäre er soeben aus dem Kühlhaus bereitgestellt worden. Aus dem Gebläse des Wagens mit der Ordnungsnummer 6 strömt eisige Luft, das ändert sich auch nicht, als der Zug losfährt. Also rüber in den Nachbarwaggon, Lage checken, alle Plätze frei: umziehen! Komisch nur, dass keiner mitkommt.
Erst als der Zugchef kurz nach Mannheim bekannt gibt, dass im Wagen mit der Ordnungsnummer 6 die Klimaanlage ausgefallen sei, bewegt sich der Durchschnittsreisende. Blöd nur, dass jetzt alle Plätze in Wagen 7 von in Mannheim Zugestiegenen besetzt sind. Und hinterher schimpfen alle auf die Bahn. Ich denke: Nicht nur für eine Revolution brauchen die Deutschen Bahnsteigkarte und grünes Licht von oben, sogar für den Waggonwechsel. Übrigens fährt der ICE 694 auf dem Weg nach Berlin 75 Minuten Verspätung ein. Das entsprechende Entschädigungsformular will keiner haben. Am Servicepoint ist alles frei. Danke Rüdiger Grube! Was wäre wohl passiert, wenn ich von Stuttgart geflogen oder mit dem Auto gefahren wäre? UWE RADA
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Nur Fliegen ist schöner
Dienstag, 21.12., Tegel: Den ganzen Tag über werden Flüge nach Köln/Bonn gestrichen. Der Abendflug nicht. Abflug zehn Minuten zu früh, Ankunft ebenso. Reisezeit von Haus zu Haus insgesamt: 3 Stunden 30 Minuten
Samstag, 25.12., Köln/Bonn: Schnee auf dem Vorfeld, der Flughafen menschenleer. Die letzte Maschine des Tages geht um 20 Uhr nach Schönefeld. Abflug und Ankunft mit fünf Minuten Verspätung. Reisezeit: knapp vier Stunden KLAUS HILLENBRAND
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