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Archiv-Artikel

Webers Geist fremdelt

Rumgehen und rumstehen: Die Oper Dynamo West erkundet mit einer Performance nach Carl Maria von Webers „Freischütz“ das verwaiste Schiller-Theater. Schleifgeräusche verheißen nichts Gutes, Zuschauersitze sind abgesperrt

Am Anfang müssen alle warten. Warten, dass sie ins Theatergebäude dürfen, warten, bis alle Gäste versammelt sind, warten, bis es weitergeht. Im „Freischütz_GA“ der Oper Dynamo West, der am Dienstag Premiere hatte, führen Ensemblemitglieder das Publikum wie bei einem Museumsbesuch durch das Schiller-Theater.

Das erste Bild ist schon mal nicht schlecht. Die Besuchergruppe wird auf die Stufen des Vorraums geleitet, also dorthin, wo man als Eintretender sonst rasch über den Marmor rutscht, um ins Foyer zu gelangen. Nun sitzen oder stehen alle dicht gedrängt mit Blick auf die Eingangstüren und können zusehen, wie draußen der Tisch für die Eintrittskarten abgebaut wird. Drinnen verharren vier Frauen auf Holzstühlen. Dass das Stück schon begonnen hat, merkt man erst, als eine der Frauen beginnt, ihren Stuhl über die Steinplatten zu ziehen. Die anderen tun es ihr gleich. Durch den Raum hallen Schleifgeräusche, die nichts Gutes verheißen. Klingt so die Wolfsschlucht?

Zur nächsten Station wird man mit Kuhglocken geleitet. Im Zuschauerraum des Theaters sind die Sitze abgesperrt, dort erklingt das Duett „Schelm, halt fest!“ aus Carl Maria von Webers „Freischütz“. Vom oberen Rang meldet sich plötzlich eine Frau zu Wort. Da sie koreanisch spricht, bleibt ihr Text unverständlich, ihr Gesang fasziniert aber auch so. Die Frau ist die Pansori-Sängerin Lee Jaram. Sie übernimmt anschließend die Führung und weist den Besuchern mit zackigen Fächerschlägen den Weg.

Die Verbindung von Weber und koreanischer Musik überrascht etwas. Regisseurin Janina Janke, die einige Zeit in Korea verbracht hat, sieht gleichwohl einen Zusammenhang: „Pansori ist eine Form des Sagenerzählens, und der ‚Freischütz‘ ist auch eine Sage. Wir wollten das gegenüberstellen und durch zeitgenössische Musik verbinden.“

Jaram, die in Korea ein Star ist und für ihre Ausdauer im Singen einen Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde erhielt, hat einen eigenen Pansori geschrieben, in dem sie die Geschichte des „Freischütz“ auf Koreanisch erzählt. Der Komponist und Perkussionist Maurice de Martin steuerte zeitgenössische Musik für einzelne Stationen bei. Hin und wieder mischen sich die Stile, manchmal stehen sie unverbunden nebeneinander.

Vom eigentlichen „Freischütz“ bekommt man nicht allzu viel mit. Insgesamt vier Arien erklingen, die Begleitung ist auf ein kammermusikalisches Minimum reduziert. Die Musik könnte einem auch als bloße Geräuschkulisse beim Erkunden des Gebäudes erscheinen. Dass Webers Oper als Vorlage für die theatralische Ortsbegehung dient, hat für Janke jedoch seinen Grund: Uraufgeführt wurde das Werk 1821 im Königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, dem heutigen Konzerthaus. In den Zwanzigern und Dreißigern des vergangenen Jahrhunderts war das Schiller-Theater dessen zweite Spielstätte. „Wir wollten die Geister von Weber im Schiller-Theater wieder auferstehen lassen“, so Janke.

Die Wiederauferstehung gelingt nicht wirklich. Ein Problem der Inszenierung ist das Gefälle zwischen den Solisten. Lee Jaram ist die mit Abstand beeindruckendste Vokalistin des Ensembles. Von den „Freischütz“-Sängern kann eigentlich nur Sophie Witte als Agathe überzeugen. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum die verschiedenen Elemente nicht zueinanderfinden.

Etwas für sich steht auch die abschließende Filmsequenz im Magazin, eine gemeinsame Arbeit von Janke und den Videokünstlern Corinne Rose und So Young Yang. In ruhigen Einstellungen ist das verwaiste Theater, das seit 1993 geschlossen vor sich hin muffelt, zu sehen, die Bühnentechnik, Maske, Kantine; Leerstand und Imageverlust von Westberliner Institutionen zu thematisieren, ist schließlich Motivation der Oper Dynamo West. Abgenutzte Materialien wie Rohre oder Klebebänder werden sehr schön in eine Poesie der Patina überführt. Hin und wieder geistern Mitglieder des Ensembles durch die Szenerie. Leider verliert der Film nach einer Weile an Stringenz. Die vielen Bilder von Uhren, auf denen die Minuten geräuschvoll verstreichen, erscheinen da wie ein ironischer Kommentar: Die Zeit wird einem irgendwann lang.

TIM CASPAR BOEHME

„Freischütz_GA“, Schiller-Theater, heute um 20 Uhr