Was taugt die Netzpartei?: Postskriptum zur Piratendiskussion
Der Wunsch der Piratenpartei, jenseits von links und rechts agieren zu wollen, ist Kitsch. Wichtiger ist: Sie haben das Potential, als Vertreter der Netzkultur Grundsatzdiskussionen zu führen.
![](https://taz.de/picture/345875/14/pir_b.jpg)
Nach und nach erledigt sich alles, was man bekämpft hat, von selbst. Erst die Musikindustrie, nun die Kaufhäuser. Warenhäuser und die um sie gebauten Innenstadtzonen, später Malls und Shopping Citys, sind von der Linken nicht zu Unrecht als konkrete Verkörperungen der abstrakten Herrschaft des Wertes kritisiert und bekämpft worden.
Vielleicht war diese Kritik ungenau oder unvollständig, aber sie ist nicht dadurch erledigt, dass man jetzt Malls aus Bits und Bytes baut, Kaufhäuser und andere einst von Architektur verkörperte Institutionen nunmehr aus Links konstruiert. Nicht die jeweilige Konkretion ist für das verantwortlich, was schon abstrakt falsch ist, noch stellt ihre Anschaulichkeit einen Ausweg dar - von beidem ein bisschen. Begriffe wie Arbeit, Konsum, Freizeit, Befreiung und Unterwerfung sind unter Netzbedingungen abstrakter geworden, gerade weil sie nun in einer Fülle von Konkretionen untergehen, die unter mehrere, gegensätzliche Bestimmungen fallen.
Doch diese Konfusionen sind dem Fehlen aktueller begrifflicher Diskussionen geschuldet, nicht dem Eintreten eines postpolitischen Zustandes. Es wird nur alles mal wieder etwas komplizierter, was offensichtlich ungern gehört wird, wo Medienarchitekturen schnelle Antworten belohnen. Beim "Pro und Contra" zur Piratenpartei in dieser Zeitung fielen deren Unterstützer in den Onlinekommentaren über Jörg Sundermeier her, den Vertreter des politisch argumentierenden Contra.
Dabei hatte niemand von ihnen überhaupt sein Argument verstanden, dass nämlich ein Verhandeln gesellschaftlicher Verhältnisse ausschließlich anhand von deren Onlineversion zwangsläufig blind gegenüber der politisch ökonomischen Grundlage auch der Onlineverhältnisse bleibt.
Eigentum und Urheberrecht sind entweder überhaupt ein Problem oder gar nicht und nicht erst seit man im Netz plötzlich Zonen erleben kann, wo ungeregelt ist, was gesellschaftlich sonst so stark durchgesetzt ist, dass es niemand anzweifelt.
Natürlich ist das Web 2.0 nicht nur die Fortsetzung eines Warenhauses mit anderen Mitteln, in dem Aufmerksamkeitsquanten, Partizipationsbereitschaft, Dienstleistungen und natürlich auch klassische Warenobjekte auf neue Weise verdealt werden. Es ist auch ein Kino, eine Bibliothek und ein Arbeitshaus, in dem permanente Partizipation und Angeschlossenheit normativ durchgesetzt werden. Doch schon das alte Kaufhaus und seine Nachfolger, die grausamen Outlet-Center an den Peripherien, waren nie ausschließlich der tote Nichtort, das asoziale Maximum an Entfremdung.
Je neue Zyklen von Konsumkultur brachten auch deren Kritik auf höheres Niveau und führten egalisierte Zugriffe auf Waren in die Alltagskultur ein. Eine Übertreibung dieser Dialektik wäre es dennoch, in den Konsumkulturen der Nachkriegszeit eine emanzipative Geschichte freilegen zu wollen: Es ist eine der zunehmenden Kontrolle, der Zerschlagung von selbstbestimmten Lebensformen. Aber sie hat uns auch viel falsche Unmittelbarkeit vom Halse geschafft.
In den freien Zonen des Internets - dem partiell suspendierten Eigentum, der akzelerierten Zugänglichkeit von Information, den unbegrenzten sozialen Assoziationsmöglichkeiten - etwas entdecken zu wollen, das sich unpolitisch allein auf dessen Organisationsformen und ihre Technik zurückführen lassen soll, wird vielleicht von dessen vereinfachenden, beschleunigenden Umgangsformen nahe gelegt - und von der Identifikation von Politik mit Bürokratie.
Aber die Attraktion des Web sind Möglichkeiten, die es anderswo nicht gibt, weil sie im Widerspruch zu generellen gesellschaftlichen Regelungen stehen; zu Traditionen, Strukturen, Natürlichkeitsannahmen. Dies aber ist ein politisches Verhältnis. Politisch ist aber nicht nur das Verhältnis dieser Netzchancen zu ihrem Außen, sondern auch das der negativen zu den positiven Entwicklungen. Diskussionen über Chancen, wie Freiheit von Urheberrecht und Zensur, und Problemen, wie die Einspannung der Netzteilnehmer in einer scheinfreiwilligen, unbezahlten Prosumer-Partizipationsökonomie, müssen auf diesen Gegensatz hin geführt werden.
Der Wunsch der Vermeidung von Politik, der Kitsch der Piraten, jenseits von links und rechts operieren zu wollen, verkennt gerade diese besonderen Qualitäten der Netzkultur: dass sie im Gegensatz zu etwas anderem stehen. Das wäre ein klassischer Gegenstand von politischen Grundsatzdiskussionen, die nicht deswegen apolitisch und technisch zu suspendieren wären, weil die offizielle Politik keine Grundsatzdiskussionen mehr führt.
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