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Archiv-Artikel

■ Was Sozialabbau für die Betroffenen bedeutet Sklavenhalter in neuem Gewand

betr.: „Brauchen wir Hartz IV“ (ja: Matthias Urbach, nein: Stefan Reinecke), „Mindestlohn. Armut schafft keine Arbeit“, Kommentar von Hannes Koch, taz vom 23. 8. 04

Da streiten sich zwei taz-Journalisten über Sinn und Unsinn von Hartz IV – und können sich nicht einmal über die Fakten einigen. Laut Pro-Anwalt Urbach kann „intensivere Jobvermittlung tatsächlich die Arbeitslosigkeit erheblich reduzieren“ – ständiges Argument von Clement und Co. –, wohingegen Contra-Anwalt Reinecke diese Behauptung bei 300.000 offenen Stellen gegenüber 4,3 Millionen Erwerbslosen als „Kinderglaube“ belächelt. Auch die anderen ins Feld geführten Argumente klingen wenig überzeugend. Urbach kritisiert die Alimentierung der ArbeitslosenhilfebezieherInnen durch die SteuerzahlerInnen, ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, dass der arme Busfahrer und die schlecht bezahlte Kassiererin auch die Steuersubventionen für andere gesellschaftliche Gruppen finanzieren müssen. Und Reinecke findet es nicht in Ordnung, dass künftig kein Unterschied gemacht wird, „ob jemand nie in Lohnarbeit war oder ob jemand am Reichtum der Gesellschaft mitgewirkt hat“. Ist es etwa okay, dass nicht erwerbstätige allein erziehende Mütter sich zurzeit mit Sozialhilfe begnügen müssen, während erwerbslose ehemalige Karrierefrauen jahrelang hohe Arbeitslosenhilfe ausgezahlt bekommen?

Hannes Koch plädiert in seinem Kommentar zur Mindestlohndebatte für eine auskömmliche, menschenwürdige Grundsicherung oberhalb des heutigen Sozialhilfeniveaus. Schön, dass es taz-Journalisten gibt, die begriffen zu haben scheinen, was Sozialabbau für die meisten Betroffenen bedeutet. UWE TÜNNERMANN, Lemgo

Bismarck und Dickens hätten es sich bestimmt nicht träumen lassen, dass sie im 21. Jahrhundert als melodramatisches Remake in aller Munde sein werden. Im Mittelpunkt stehen zig Millionen Arbeitslose (also fast alle) und die Regierung.

Das Armenhaus hat angebaut, Taschendiebe gibt es nicht, da sich leere Taschen nicht ausrauben lassen. Bismarck ist inzwischen wieder Sciencefictionheld und treibt zum Brückenbau, um eine angemessene Wohnsituation für die Bevölkerung zu schaffen. Das Gesundheits- und Rentenwesen ist aufgrund natürlicher Auslese saniert. Kinder haben Anspruch auf eine dreimonatige Survivalausbildung in Pisa. Der letzte Akt zeigt eine Armenküche, sponsored by deutschen Unternehmern, die im Ausland produzieren. Ein Film, bei dem man genau weiß, dass man weinen soll. Dem Regisseur Schröder gelingt mit seinem intensiven Drama ein ärmliches, aber bewegendes Werk.

FSK: 0–99. Nach der Premierenfeier verbreiteten sich Übelkeit und Erbrechen unter der Bevölkerung nahezu epidemisch. Politikern wird wegen der gesundheitsgefährdenden Realitätsnähe empfohlen, ihren Leibarzt zu Rate zu ziehen. REGINE VOIGT, Wuppertal

Das Thema „Zumutbarkeit“ wird meist viel zu verkürzt diskutiert, nämlich vor allem auf die Höhe des Lohns bezogen. Es gibt aber noch andere Aspekte, die gar nicht einfach in Geld aufzuwiegen sind. Nur drei Beispiele: Soll es für einen überzeugten Vegetarier zumutbar sein, in einem Schlachthof zu arbeiten? Soll eine überzeugte Pazifistin gezwungen werden können, in einem Zulieferbetrieb der Rüstungsindustrie zu arbeiten? Ist es für einen Menschen, der eine belastende Arbeit wie etwa Pflegehilfe in Krankenhäusern oder Altenpflegeheimen aufgrund seiner/ihrer Konstitution nur mit schweren physischen oder psychischen Folgeschäden verrichten kann, zumutbar, genau zu solchen Arbeiten verpflichtet zu werden?

Was außerdem unzumutbar ist, und zwar sowohl unter ethischen wie unter wissenschaftlich ökonomischen Gesichtspunkten, das ist die immer häufiger – auch „links“ von CDU und FDP – zu hörende Rede von einer „Zumutbarkeitsmentalität“, als sei sie die Hauptschuldige an der weltweiten Armut, die mittlerweile auch immer weiter in die wirtschaftlichen Zentren vordringt. Es gibt kein Zurück, aber intelligente Kreativität und Humanität sind mit der Sklavenhaltermentalität, die in neuem Gewand wieder zunehmend salonfähig wird, unvereinbar. BERNHARD WAGNER, Rostock

Wann setzt sich endlich das Bewusstsein durch, dass ernsthafte Reformen nötig sind, weil einfach keine Geld da ist? So traurig es ist, aber die Schröder’sche Alternativlosigkeit ist keine Marotte, sondern eine aus den Staatsfinanzen abzulesende Tatsache. Die Neuverschuldung tendiert gegen ein neues Rekordhoch, das Wasser steht bis zum Hals. Das primäre Ziel besteht zwingend darin, den Staatshaushalt zu sanieren, die Staatsausgaben an den Staatseinnahmen auszurichten. Ist das erst einmal geschafft, ist auch wieder Geld da für Investitionen in Arbeitsmarkt, Forschung und Bildung, also in die Zukunft unseres Landes. […] STEPHAN SCHIFFELS, Köln

Was soll das Gefasel von Fördern und Fordern, wenn doch nur für jede/n 8. Arbeitslose/n, und dann auch nur theoretisch, die Möglichkeit besteht arbeiten zu können? Was soll das Gefasel: „Die Steuerzahler müssen dafür xx Milliarden Euro aufbringen …“? Hat denn nicht jeder Arbeitende in den „fetten“ Jahren auch in das System eingezahlt? Was soll das Gefasel davon, dass der Staat kein Geld hat? Schauen wir doch mal genau hin, wer an den Geldtöpfen sitzt und es sich gut gehen lässt. Was hilft, und da möchte ich Stefan Reinecke unterstützen, ist, das Vorhandene gerechter zu verteilen. […]

ULRICH LANGE, Bochum