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taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI: Stimme meiner Generation Gendern ist doof!

Wenn unser Kolumnist Aron Boks mit alten Linken zusammensitzt, fangen die regelmäßig an, übers Gendern zu schimpfen. Was ist ihr Problem?

Oft sind es ältere Leute, die Gespräche übers Gendern beginnen und sich dann aufregen. Warum? Foto: Maya Hitij AP AP

taz FUTURZWEI | Sandra findet Gendern doof. Das sagt sie auch ganz offen auf der Bühne. Sie ist 70 Jahre alt, Schriftstellerin und diskutiert bei einer Lesung mit dem Ende-50-jährigen Journalisten Reiner.

Mathilda und ich sitzen im Publikum und gucken zu.

Beim Thema Gendern sind Sandra und Reiner sich in ihrer Ablehnung einig und uns ist das egal. Nur plötzlich schüttelt so ein barfüßiger Typ in der ersten Reihe ganz spöttisch den Kopf.

Er will auch nicht mit Sandra diskutieren. „Das bringt eh nichts!“ sagt er und verlässt den Raum. Mathilda und ich sitzen später mit Reiner und Sandra an der Bar.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Wo gibt es Sprechverbote?

„Naja, war doch ein schöner Abend“, brabble ich freundlich. Doch schon geht es los.

„Und wie stehst du dazu, dass für euch in Prüfungen ja inzwischen die Pflicht besteht zu gendern?“ fragt Reiner Mathilda.

„An meiner Universität besteht keine Pflicht, in Prüfungen zu gendern“, sagt Mathilda so nüchtern, als wäre sie die offizielle Pressesprecherin der GenZ.

Ständig wird Mathilda dazu von Älteren befragt. Das scheint für die eine große Sache zu sein. Vor Kurzem hat die Zeit deswegen eine Recherche rausgebracht, die öffentliche Hochschulen, Unis und 5000 Studierende befragt hat.

Das Ergebnis: In 98 Prozent der Fälle gibt es keine Genderpflicht bei Hochschulprüfungen.

„Noch nicht!“ bemerkt Sandra sofort.

„Was wollen die mit ihrem Gegendere überhaupt?“ fragt Reiner aufgebracht. „Wir sollten uns um wichtige Themen kümmern! Aber nicht ums Gendern!“

„Wir haben doch viel Wichtigeres zu tun!“

„Ja, sag ich doch!“

Obwohl sie viel Wichtigeres zu tun haben, kreist das Gespräch weitere dreißig Minuten um nichts anderes.

Seltsam, denke ich – Sandra und Reiner kommen ihrem Selbstverständnis nach aus einer progressiven Linken und sind an der Komplexität der Welt interessiert, aber sobald sie mit uns jungen linken Menschen zusammensitzen, fahren sie die Ellbogen aus und wehren sich schon mal prophylaktisch gegen das Gendern.

„Ich werde in meinen Texten ganz sicher nicht von Gästinnen schreiben“, brummt Sandra. „Das klingt doch einfach scheiße!“

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„Ja und wem würde das auch helfen?“ fragt Reiner. „Dem ASTA-Plenum, das sich selbst beklatscht, wenn es Wissenschaftlerinnen auslädt? Toll!“

Wer ist fürs Gendern?

Die Bar leert sich, und eigentlich wäre es schön gewesen, auch über etwas anderes zu sprechen.

Überhaupt etwas zu sagen, weil eigentlich reden nur Reiner und Sandra. Meistens werden diese Genderdiskussionen ja gar nicht von jungen Leuten angefangen, denke ich. Oft sind es Ältere, die davor warnen, dass es jungen, linken Menschen inzwischen nur noch darum gehe, wie man korrekt zu sprechen hat.

Dabei zeigt die aktuelle Shell-Jugendstudie, die Menschen zwischen 18 und 25 Jahren befragt, dass 42 Prozent von ihnen Gendern (völlig oder eher) ablehnen, nur 22 Prozent sind (völlig oder eher) dafür – und 35 Prozent ist das Thema völlig schnurz.

Trotzdem entwickeln sich zwischen älteren linken Intellektuellen oft hitzige Bestätigungsgespräche, so dass sich junge Linke in verzahnten Scheindebatten wiederfinden. Wir zum Beispiel. Die geben einfach keine Ruhe.

„Und die haben da auch Diversitätsbeauftragte, wenn ich das Wort schon höre“, sagt Reiner gerade. „Diversitätsbeauftragte sind wie Rassismusbeauftragte und müssen immer Ungerechtigkeit aufzeigen, damit sie eine Daseinsberechtigung haben, aber wirklich notwendig sind sie nicht!“

Echt? Das Argument hat man ja noch nie gehört!

„Na ja, an unserer Hochschule ist seit über 20 Jahren intern bekannt, dass ein Dozent Frauen verbal sexuell belästigt hat und die Hochschule hat ihm erst in diesem Jahr gekündigt“, versucht Mathilda noch einmal ernsthaft in das Gespräch einzusteigen.

„Dafür gibt es die Polizei“, kontert Reiner sofort. „Das ist eine Straftat.“

„Ja, und die wird durch das Gendern auch nicht gelöst!“ ergänzt Sandra.

Ich fühle mich richtig müde und Mathilda auch. Wir sagen, dass wir jetzt leider ins Bett müssen.

„Ach ihr geht schon?“ sagt Reiner bedauernd. „Jetzt kamen wir gar nicht zum Reden.“

Was fürchten Leute beim Gendern?

Vielleicht fürchten die älteren Gendergegner insgeheim den lächelnden Kopfschüttler von vorhin an allen Ecken ihres Alltags, denke ich. Tausend spöttische Augen, die sie abscannen, wenn sie über das Leben, den Alltag sprechen. Köpfe, die sich spöttisch im Rhythmus einer chinesischen Winkekatze unablässig schütteln und stumm zeigen:

Du bist alt!

Du bist peinlich!

Du denkst falsch!

Aber ehrlich gesagt treffe ich kaum solche militanten Wokies, die sich in irgendwelchen Anti-Jürgen-Seminaren radikalisieren und jeden für immer canceln, der sich nicht an ihre Sprachregeln hält, weil sie meinen, nur das würde die Welt gerechter machen. Aber klar, die gibt es sicher.

Genauso selten treffe ich Menschen, die mit jedem Mal, das sie nicht gendern ganz bewusst unterstreichen wollen, dass sie die strukturelle Benachteiligung von Männern und Frauen gutheißen, bewahren und Transmenschen sowieso ausschließen wollen und nichtbinäre Menschen hassen.

Auch die gibt es sicher zu Genüge, das ganze Internet ist voll mit ihnen. Aber mit denen rede ich fast nie.

Mit Alten sprechen

Viel öfter spreche ich mit den älteren Leuten, die dazwischen stehen. Die in einer ungerechten und komplizierten Welt gemeinsam ratlos beisammen sitzen und sich vielleicht stumm selbst befragen:

Wir haben doch damals schon demonstriert, warum ist die Welt noch immer so scheiße ungerecht? Wir haben doch immer auf der richtigen Seite gestanden und jetzt sprechen wir ungerecht und falsch?

Vielleicht wäre es gut zu fragen, wovor die Alten eigentlich Angst haben, denke ich. Jedenfalls dann, wenn wieder so ein Generationensmalltalk in eine endlose Partie Ich-gendere-Ich-gendere-nicht abdriftet. Aber nicht mehr heute Abend.

„Sorry, Leute, ich habe heute nicht mehr so viele Kapazitäten“, sage ich und stehe auf. Reiner klopft mir auf die Schulter und sagt: „Die Jugend hält doch nichts mehr aus!“

Jetzt klingt er irgendwie zufrieden.

„Stimme meiner Generation“ – die Gen-Z-Kolumne des Magazins taz FUTURZWEI, geschrieben von Ruth Lang Fuentes und Aron Boks, erscheint in loser Folge auf tazfuturzwei.de.