Warum viele Spiele spät beginnen: Ungerecht, aber wahr
Öko & Öko
von Richard Rother
Kaum war der Familienrat, bei dem die EM-Fernsehzeiten abgesprochen wurden, einigermaßen friedlich beendet, gab es doch noch Geschrei: „Das ist ungerecht“, brüllt die achtjährige Tochter. „Immer kommt Fußball im Fernsehen, aber Voltigieren nie.“ Das sei nun einmal so, versuche ich die kleine Auf-dem-Pferd-Turnerin zu beruhigen, weil viel mehr Menschen Fußball gucken wollen als Reitsport. Und deshalb komme Fußball öfter im Fernsehen, weil die Sender dann mehr und teurere Werbung verkaufen könnten. „Aber bei Olympia sehen wir bestimmt auch Pferde.“
Darauf habe er gar keine Lust, mault ihr zehnjähriger Bruder, der vom Fußballtraining noch erschöpft ist. „Ich finde ungerecht, dass die Spiele immer so spät kommen.“ Als ich erklären will, dass auch das banale ökonomische Gründe hat, rollt meine Frau mit den Augen (Keine Vorträge bitte, sagen sie). „Abends können mehr Leute zuschauen, weil dann die meisten Erwachsenen nach der Arbeit wieder zu Hause oder in der Kneipe sind“, meine ich dennoch. „Am Nachmittag könnten doch die Kinder zugucken“, entgegnet der Sohn. „Stimmt“, sage ich, „aber die Kinder haben nicht so viel Geld zum Ausgeben wie die Erwachsenen.“ Ungerecht, aber wahr.
Immerhin ist die Zahlungsbereitschaft, was Fanartikel angeht, bei Erwachsenen und Kindern gleichermaßen ausgeprägt, zumindest bei männlichen. Jeder zweite Mann will dafür mehr als 50 Euro ausgeben, fand eine Marktstudie heraus. Auch der eigene Sohn war kaum zu bremsen, sein erspartes Taschengeld in Fahnen, Girlanden, Tröten, Tattoos und Schminke zu investieren. Frauen sind da deutlich sparsamer.
Vielleicht liegt das an ihren Überlebensgenen. Schließlich sind die billigen Schminken und Klebe-Tattoos zur EM häufig von schädlichen Chemikalien belastet, wie Warentester herausfanden. Für den Fan gilt also: Je schneller das geliebte Team aus Frankreich abreist, umso besser ist es. Dann gibt es weniger Anlässe, sich Gift ins Gesicht zu schmieren. Dass dies letztlich auch ökologischer wäre (weniger Gift im Duschwasser), ist sicher nur ein Randaspekt – darf aber hier nicht fehlen.
Wichtiger ist da schon, wo der Strom herkommt, den die Fernseher verbrauchen, damit die Fans Fußball gucken und die Sender Werbung verkaufen können. In Frankreich wäre die Frage schnell beantwortet, wenn nicht gerade Streik wäre: aus Atomkraftwerken. Damit haben auch die Belgier und Tschechen kein Problem, während die Polen mehr auf die rauchenden Schlote der Kohlekraftwerke stehen. Wir sehen: Die EM gefährdet die Umwelt und das Klima.
Nur gut, dass wir in Deutschland schon ganz viel Wind- und Sonnenstrom im Netz haben. So gelingt Fußball gucken und Fußball chatten ohne schlechtes Gewissen. Weil das Wetter aber nicht immer mitspielt, favorisiert die Industrie nun das intelligente Stromnetz. Durch schwankende Preise sollen Verbraucher dazu gebracht werden, den Strom dann zu nutzen, wenn es ein großes Angebot gibt, weil etwa ein starker Wind viele Turbinen antreibt. Dann wäre der Strom billig, und die Verbraucher schalten die Waschmaschine ein. So geht das bekannte Lockvogelangebot, um die intelligenten Stromzähler anzupreisen, aus deren Daten man jede Lebensgewohnheit ablesen kann.
Die ökonomische Wahrheit ist selbstverständlich genau andersherum: Wenn es wirklich minutengenaue Energiepreise gibt, wird der Strom dann teuer, wenn alle ihn brauchen. Zum Beispiel bei wichtigen EM-Spielen.
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