■ Warum der Siemens-Boykott eine gute Sache ist: Die klare Sprache des Geldes
Zwanzig Jahre lang ist die Anti-Atom-Bewegung gegen Bauzäune angerannt, haben Hunderttausende im ganzen Land gegen die Atomenergienutzung demonstriert, wurden Millionen von Unterschriften gesammelt. Dies war nicht vergeblich, denn es konnten große Erfolge erzielt werden, etwa die Aufgabe der Pläne, in Wyhl einen Reaktor zu bauen, den Strahlenmüll wiederaufzuarbeiten oder in Gorleben endzulagern. Doch trotz beständigen Drucks der Anti-AKW- Bewegung und ungeachtet der Katastrophen in Harrisburg und Tschernobyl hat weder die Bundesregierung noch die Industrie die gefährlichste Form der Energieproduktion entsorgt.
Jetzt hat ein denkbar breites Bündnis von Umweltschutzorganisationen einen neuen Versuch unternommen, die Einsicht in die Notwendigkeit des Ausstiegs zu fördern. Die Atomkritiker haben dazu aufgerufen, so lange keine Produkte der Siemens AG mehr zu kaufen, bis diese aus dem Atomgeschäft aussteigt.
Zunächst ist die Siemens AG die richtige Adresse für einen Boykott. Sie war und ist mit ihrer Tochtergesellschaft Kraftwerks Union (KWU) die treibende Kraft jener mächtigen Lobby, welche die Atomgegner gerne als „Atommafia“ angreifen. Daß dieser Begriff weniger Schmähung als zutreffende Charakterisierung ist, hat die Siemens AG beispielsweise bei den Auseinandersetzungen um die Sicherheit ihrer Firmen in Hanau eindrucksvoll bewiesen: Als die Alkem bei der atomrechtlichen Genehmigung für ihre Produktionsstätten in Schwierigkeiten kam, erarbeitete die KWU-Rechtsabteilung Mitte der achtziger Jahre für das Bundesinnenministerium eine Vorlage zur Novellierung des Atomgesetzes.
Aber nicht nur das Ziel, auch die Methode ist die richtige. Der Boykott ist ein durch und durch demokratisches Mittel ohnmächtiger einzelner, auf die Zwecke großer Konzerne Einfluß zu nehmen. Ohne den ausdauernden internationalen Boykott „Nestlé tötet Babys“ hätte der Schweizer Multi nie den internationalen Kodex für die Vermarktung von Babynahrung anerkannt. Große Firmen wie Nestlé und Siemens sind naturgemäß keine moralischen Anstalten, sondern Zusammenschlüsse, deren vordringliches Ziel die Mehrung des Kapitals und die Realisierung von Profiten ist.
Wenn sich Hunderttausende dem Boykott anschlössen, müßte der Siemens-Aufsichtsrat zu rechnen beginnen. Kommt die AG das Beharren auf der Dinosaurier-Technologie oder deren Aufgabe teurer zu stehen? Der Boykott spricht die klare Sprache des Geldes; mithin die Sprache, die Aufsichtsräte und Manager in aller Welt allemal besser verstehen als ihre Muttersprache. Michael Sontheimer
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