: Wann war 1789?
■ „Hyänen voila“: Ein Freiburger Theater macht Revolution (im Auftrag der Grünen)
„Nur jenes Erinnern ist fruchtbar, das zugleich an das erinnert, was noch zu tun ist.„Ernst Bloch
In der Pause sehen wir, was der Mann am Eingang gefilmt hat: uns selbst, die Zuschauer.
Bemerkt hatten wir die Videokamera schon beim Betreten des Theatersaales. Nun, während die Darsteller sich erholen, können wir uns auf der Leinwand selbst betrachten - und sollen uns wohl fragen, weshalb wir hier sind: hier, in der Uraufführung von Hyänen voila, einem Stück zur Französischen Revolution, gespielt vom „Theater-Komplott Freiburg“. Erwarten wir eine der zahlreichen Feiern zum glorreichen Juli 1789? Oder erhoffen wir uns eine sentimentale Rückschau auf die gute alte Zeit vor 200 Jahren, als eine Revolution noch eine Revolution war und man sich ohne Arg ob ihres möglichen Mißlingens daran freuen konnte? Oder sind wir gar hergekommen, um uns am modischen Spott über die Hoffnung auf radikale Veränderung zu delektieren?
Nichts von alledem wird in den ersten eineinhalb Stunden auf der Bühne geboten. Und einige von denen, die sich nun während der Pause als Zuschauer auf der Leinwand erleben, merken dabei: politisches Theater. Sie gehen.
Zwei Anlässe, ein Theaterstück: In knapp drei Monaten wird die Französische Revolution 200 Jahre alt. In knapp zwei Monaten wählt ein Teil des westlichen Europas. Die Produktion von Hyänen voila - Untertitel: ein Spektakel zum Skandal der egalite - ist ein von den Grünen finanziertes Wahlkampfprojekt. Nach einem Text von Walter Moßmann spielt die Schauspieltruppe canaille & co des „Theater-Komplott Freiburg“ bis Mitte Juli ein Stück über die Revolution.
Hyänen voila handelt vom hoffnungsvollen Aufbruch vor 200 Jahren und seinem Scheitern. Es erzählt von der ideologisch verbrämten Revolutionsmüdigkeit von heute und agitiert für die Notwendigkeit radikaler Veränderungen. „Im Gegensatz zu den Historikern, die sich darüber streiten, wann die Französische Revolution abgeschlossen war, interessieren wir uns für die Tatsache, wann sie angefangen hat“, schreiben die Freiburger im Programmheft. Für canaille & co hat sich die Revolution noch nicht erledigt. Drum spielen sie das Leben der Pariser Sansculotten, wie sie Bilder von Befreiungskämpfern in El Salvador zeigen. Sophie Lapierre, proletarische Revolutionssängerin, und die aufmüpfige junge Frau in einer Altonaer Kneipe heutzutage sie bleiben ein und dieselbe Person. 1789 ist nicht wichtiger als 1989, die Zeit dazwischen und die Zeit danach.
Gefaßt hat der Regisseur Moc Thyssen die elf Bilder der Textvorlage in eine szenische Collage: Aus Produkten dramaturgischer Phantasie und Dokumenten der Geschichte, aus Friedrich Schiller, Heinrich Heine, Frantz Fanon und Sophie Lapierre. Aus Schauspiel, Video, Musik und Schattenspiel.
Distinguiert spricht ein älterer Herr von der Leinwand ins Publikum: “... Denn diese Dritte Welt, ungekannt, ausgebeutet, verachtet wie der Dritte Stand, will schließlich auch etwas werden.“
Alfred Sauvy, Professor für Demographie und Ritter der französischen Ehrenlegion, hat 1952 „Dritte Welt“ und den „Dritten Stand“ derart miteinander verbunden. Durch Hyänen voila zieht sich diese Überblendung der beiden Begriffe als roter Faden. Sie bildet den Ausgangspunkt der Philosophie des Stückes. “... Die Dritte Welt ist der revolutionäre Stand der Weltgesellschaft von heute, und Europa hat nicht das Erbe des Dritten Standes angetreten, sondern das Erbe der Aristokratie.“ Das Interview mit Sauvy illustrieren canaille & co so beklemmend wie agitatorisch: Ein Videofilm zeigt die Jagd eines Koyoten aus dem Hubschrauber, unterbrochen von Filmsequenzen über Befreiungskämpfe in der „Dritten Welt“ und ihre militärische Niederschlagung durch Westeuropäer und Nordamerikaner.
Spätestens an dieser Stelle versteht man den Untertitel des Stückes, erkennt man, was den Skandal der egalite ausmacht: Die Gleichheit gibt nämlich nicht nur der canaille das Recht, gegen die Aristokratie aufzubegehren, wie wir übersättigten Gäste des Revolutionsjubiläumsfestes glauben. Sie ist und sie bleibt „Forderung der Ausgebeuteten an die Ausbeuter, der Kolonien an das Imperium der anderen an die Eigentlichen ..., der Immigranten an die Europäer von Geblüt...“
Was gestern geschah, passiert auch heute. Und heute ist der Ruf nach egalite Aufruf zum Widerstand gegen die „strukturelle Gewalt“ des Neokolonialismus. Zwei ernsthafte Thesen - kaum vorstellbar, daß ein fulminantes Spektakel, so sprühend und tosend, so wild und skurril, so witzig und hintergründig wie dieses sie präzise formulieren kann.
Canaille & co ist es gelungen: mit hervorragenden Darstellern (Walter Moßmann, Anne Petrosch, Verena Plangger, Heinz Spagl, Rafael Marewski), die in atemberaubendem Wechsel in fast hundert Rollen schlüpfen. Mit den Videofilmen von Didi Danquart (Freiburger Medienwerkstatt), die das Spiel der Darsteller wie Partner begleiten. Mit der
-das Geschehen zuweilen beherrschenden - Musik von Cornelius Schwehr. Mit einem wunderschönen Schattenspiel, das die Geschichte der Sophie Lapierre erzählt. Mit den exzellenten Bühnenbildern von Uli Pflaum. Und schließlich unter der souveränen Regie von Moc Thyssen.
Hyänen voila - „ein Theaterspektakel, das Bocksprünge macht durch Zeit und Raum“ - und nur einer, ein einziger Sprung in über drei Stunden geht daneben.
„Tod eines Kunden“ heißt das vorletzte Bild. Es hätte eines der besten werden können. Nachgespielt wird folgende wahre Begebenheit: Vor zwei Jahren tötete der Lehrling in einem Tübinger Lebensmittelgeschäft den iranischen Asylbewerber Kiomars Javadi, nachdem er ihn beim Klauen erwischt hatte. Was canaille & co zeigen wollen: Das Eigentum erwürgt die Gleichheit im Hinterhof eines Supermarktes. Was zu sehen ist: bemühtes Thesentheater, das die Auffassungsgabe der Zuschauer unterschätzt. Langwierig und etwas leiernd belehren Walter Moßmann und Anne Petrosch über den Zusammenhang zwischen der Ausbeutung der „Dritten Welt“ und der Reaktion der Ausgebeuteten in Gestalt des klauenden Iraners. „Weißt du, Andy“, wird etwa der tumbe Lehrling gefragt, „wo die Bananen und der Kaffee herkommen?“
Das Schlußbild ist eine Tafel. Weiß auf schwarz steht dort zu lesen: „Ich verstehe wohl, daß Menschen, die alles auf ihre Person beziehen, sagen, die Revolution sei zu Ende, wenn diese sie in eine Lage gebracht hat, die für sie als Einzelmenschen nichts mehr zu wünschen übrigläßt. Zweifellos ist dann die Revolution zu Ende, das heißt für sie.“
Fran?ois Noel Babeuf, im Volkstribunal vom 11.Dezember 1795.
Ferdos Forudastan
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