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Wand und BodenGanz neu entwickelte Form des Wand-und-Boden-Bildes

■ Kunst in Berlin jetzt: Sylvie Fleury, Sarah Chilvers, Geisto

Gott sei Dank gibt es für jedes Problem die eine wahre Antwort. Sie war schon oft zu lesen, doch erst als Sylvie Fleury sie noch einmal notierte, wurden ihre Klassikerqualitäten sichtbar: Moisturizing is the answer. Auf solch superschlaue Erkenntnisse kommt man – besser frau – beim Durchblättern der „Current Issues“ der gängigen Modemagazine. Fleury tut das einmal im Jahr mit Hilfe einer Videokamera, wobei sie den Strom der Bilder mit alten Filmeinblendungen unterbricht, die Männer und ihre Autos zeigen, sowie auffordernden Inserts wie „Subscribe now“.

Der Clou ihrer Schau bei Medhi Chouakri ist jedoch sozusagen frisch aus Hamburg importiert: nämlich ihre Neuinszenierung von Claes Oldenburgs kantigem „Bedroom Ensemble“ anläßlich von „Home Sweet Home“. Fleury hat die auf merkwürdig absurde Weise rhomboid geformten Möbel, Doppelbett, Kommode und Sessel mit Kunstfell überzogen – wie auch die überdimensionalen Nachttischlampen. Diese ziert nun ein hellgrünes Fell, während der Rest in einem leuchtenden Orange beziehungsweise einem weißgemischten, hellen Orange erstrahlen. Oldenburgs Bedroom Ensemble, das er 1963 der authentischen Einrichtung des bei Malibu gelegenen „Las Tunas Isles“-Motels nachbaute, gilt als seine Abrechnung mit Jackson Pollock. Er hatte in das skulpturale Environment Bilder aus gefundenen und gerahmten Stoffen gehängt, deren Design eine kommerzielle, kitschige Version von Pollocks Drip Paintings zeigte.

Fleury verzichtete auf diese Bilder und konzentrierte sich ganz auf die Objekte im Raum. Indem sie diese mit einer Art lachsfarbener Andy-Warhol-Perücke überzog, könnte man folgern, daß sie die Pop-art ins Visier nimmt, wobei sie gleichzeitig den Girlie-Kitsch der Plüschtierfaszination mitzitiert und den hartkantigen Oldenburg wieder so soft macht, wie es sich gehört.

Bis 13.12., Di.–Fr. 14–19, Sa. 13–17 Uhr, Gipsstraße 11

Zwischen den „Current Issues“ von Sylvie Fleury und den „Current Favorites“ von Sarah Chilvers in der Galerie Johannes Zielke liegen nur ein paar Meter des Wegs. Und nur die Zufälligkeit der current art exhibitions in der Gipsstraße. Zu den aktuellen Favoriten der siebenundzwanzigjährigen Britin zählen unbedingt jene kleinen – und obwohl völlig unbrauchbaren, offensichtlich sehr beliebten –, etwa handtellergroßen Miniaturventilatoren, die man im Sommer überall sah. Was immer man mit ihnen anfangen sollte, Sarah Chilvers nutzte sie jedenfalls für einige ziemlich verquere Experimente, die sie nun in ihrem Video „Highlights from Sessions with Mini-Fans“ vorstellt.

Sechs Minuten lang kann man nun beobachten, wie die Künstlerin auf den Rotor des Kleinventilators ein hohes Turmhaus aus Papier klebte, um zu überprüfen, wie lange sich die groteske Konstruktion in der Balance hält. Das gleiche machte sie mit überlangen Rotorblättern und anderen Aufbauten. Manchmal dauerte es länger, manchmal etwas kürzer, bis die kleinen Wichte, so mochte man die geplagten Mini-Fans fast schon nennen, umfielen.

Auch in anderen Arbeiten zeigt Sarah Chilvers dasselbe Vermögen, mit wenig Aufwand maximale Wirkung zu erzielen. So etwa bei der von ihr ganz neu entwickelten Form des Wand- und-Boden-Bildes: Für „Bad Weather“ stellt sie das schon aus dem Video bekannte papierne Turmhaus auf den Boden, knapp vor die Wand, auf die sie mit dem Bleistift ein Hochformat skizziert hat. In dieses Format klebt sie nun hellblaue, unterschiedlich breite Papierstreifen, die sich in lockeren Bögen wölben und dabei wie eine fette Gewitterwolkenwand drohend über dem Turmhaus zu hängen kommen.

Ähnlich funktioniert „City in Danger“. Hier hat sie die Stadt aus fünf Papiergebäuden auf die Wand geklebt, was einen Perspektivwechsel im Bild bewirkt. „Sunset“ wahrt die Perspektive und besteht aus einer großen gelben Papiersonne, über die sich lange, hellblaue Papierwolkenstreifen hinwegziehen. Current Favorites, indeed!

Bis 31.11., Mi.–Fr. 14–19, Sa. 12–16 Uhr, Gipsstraße 7

In Amerika heißt Götterspeise einfach Jelly-O. Soll ein Wort in einen Produktnamen verwandelt werden, bedient man sich dort gerne eines angehängten Os. „Geisto“ ist dementsprechend der Versuch von dreizehn Studenten der University of Illinois in Chicago, den schweren deutschen Geist in ein leichtes, luftiges amerikanisches consumer item zu verwandeln. Im Zuge eines interkulturellen Praktikumseminars wurde bei einem Besuch der documenta X das Projekt einer Ausstellung in der museumsakademie entwickelt.

Russell Williams „Wille zum Haar“ genanntes Plakat, das auch „Self with Nietzsches Moustache“ betitelt ist, zeigt ein fotografisches Selbstporträt, wobei er sich Nietzsches Schnauzbart als Haartolle auf den Kopf montierte. In einem parallel laufenden Video wogt Blau in Blau ein altes Segelschiff gen Deutschland. Die neuen Medien scheinen es also nicht zu sein, die junge Amerikaner mit Deutschland assoziieren.

Sarah Hartman geht es um die Geräusche des modernen Lebens. Sie hängte ein galvanisiertes Abluftrohr unter die Decke, in das sie seitlich zwei Lautsprecher steckte. Aus zwei nach unten weisenden Öffnungen hört man nun das Brummen der Chicagoer U-Bahn. Togay Atacs Video „Beautiful and Free“ ist eine Art Promo für zwei junge Leute, die man in Europa als ausgemachte Deppen bezeichnen würde. „Das ist Jeremy. Er geht jeden Morgen zur Arbeit, und er hat sich vorgenommen, schön zu sein“. Dafür stemmt er Eisen, ist immer entspannt und sich seiner selbst bewußt.

Jenny geht es nicht anders, auch sie inszeniert sich ihr Leben als einen einzigen Werbeclip. John Shearers „Surrogat-Skulpturen“ oder Mark Toles Predigt an die Bäume des Waldes sind lustiger. Daß die documenta X einen nachhaltigen Eindruck auf die jungen Amerikaner gemacht hätte, diesen Schluß lassen ihre knapp gefaßten, pointierten Ausstellungsbeiträge jedenfalls nicht zu.Bis 6.12., Di.–Sa. 14–19 Uhr, Rosenthaler Str. 39 Brigitte Werneburg

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