Wand und Boden: Mehr als zwei sind eine Gruppe
■ Kunst in Berlin jetzt: Görlitzer Park, Vaclav Pozarek, Künstlerflaschen, Andreas Ginkel
Es ist nur zu offensichtlich, daß die neue Skulptur im Görlitzer Park das Versprechen des zentralen Platzes nicht einlösen kann. Sie zentriert nicht, vermißt den Ort nicht, gibt ihm keinen Schwerpunkt und kein Gepräge. Sie heißt „schreitender MENSCH“, aber die Bodenskulpturen von Alf Lechner haben ein vielfaches an Geschwindigkeit, im Vergleich. Die von zwei schiefen Storchenbeinen leicht stürzend gehaltene V-Form ist ein flapsiger Verweis ins Niemandsland; die Figur, wenn überhaupt inspiriert, dann von der Graffiti Harald Naegelis, ist in den Nahtstellen der von zwei Seiten hohlen Stahlträger zu kompliziert – und als Ganzes eine müde Konkurrenz zu den Häuserblöcken auf beiden Seiten des Parks, die solide und unangefochten das Rostteufelchen anglotzen. „Die Bewegung“ auf dem Gelände „erfolgt nun nicht mehr über Güterzüge“, erklärt treuherzig der Bildhauer Rüdiger Preisler, sondern werde „von Menschen vollzogen“. Ohnehin Quark – auch in einem Bahnhof bewegen sich sehr wohl die Menschen – erinnert die Argumentation nur daran, daß eben nicht das sichtbar gegenwärtige, sondern das Abwesende einer Skulptur, einer Erinnerung bedarf (man denkt an Vostells auf den Kopf gedrehte Lok am früheren Anhalter Bahnhof).
Der „schreitende MENSCH“ steht in einer figürlichen Tradition, die sich vollkommen verbraucht hat, seine „Abstraktion“ ist gesucht und banal. Es ist nicht mehr als der erfolgreiche Kompromiß einer bequemen Verwaltungskommission, nicht die Artikulation eines durchdachten, stadtteilbezogenen Standpunkts.
Die daad-Galerie gibt sich zur Zeit etwas wunderlich. Zu sehen sind 16 Rahmen, in denen Seiten aus einem Deutschlandbuch präsentiert werden, bescheidene Schwarzweiß-Aufnahmen mittelalterlicher bis klassischer Bauwerke; mit Bildunterschrift und Seitenzahl. In diese Fotografien hat Vaclav Pozarek Schwärzen eingezeichnet: die Butzenscheiben des Bremer Essighauses teils verschwinden lassen; dem Geburtshaus Goethes einen schwarzen Keil vorgehängt.
Während manche der Formen aus der Verlängerung der Linien von Giebeln und Firsten resultieren und offensichtlich so – mit Gaze, zum Beispiel – vor Ort zu realisieren wären, sind andere Schwärzungen offenbar nicht an der Geometrie der Gebäude (in ihrer Perspektive), sondern am Planquadrat des Fotos selbst ausgerichtet: das Bild des Rattenfängerhauses in Hameln ist im oberen Viertel geschwärzt. Kritik an der Fotografie (wenn, welcher Art?) oder Erschließung einer Kulturlandschaft, die so nicht mehr existiert? Die Arbeit, genannt „Zusammenhängend aber nicht gleichzeitig“, bleibt fast unverständlich. Eigenartig, daß man die großen Räume nicht genutzt hat, um zum Beispiel Pozareks fotografische Untersuchung in Museen zu präsentieren, wie der Katalog sie zeigt. Der Vergleich wäre hilfreich.
Kurfürstenstraße 58, bis 10. Januar 1993, täglich 12.30 bis 19 Uhr. 24. Dezember bis 1. Januar geschlossen
Künstler und Flaschen – ein Thema, das zu üblen Witzen einlädt. Die Künstler(innen) übrigens, teils, auch. So zum Beispiel Susanne Bayer, die den beiden präzise geköpften Weinflaschen eines Rheinpfälzer Weinguts ein in der Klinge entzweites Messer zur Seite legt. Leider hat sie – wie die meisten der 55 Künstler(innen) – vergessen, das Etikett abzulösen. Das schwächt natürlich den Diskurs über die Flasche als solches.
Eigenartig, wo doch die Präsentation des industriellen Gegenstands so hoch im Kurs steht, übt man sich unter Konkurrenzdruck artig an der Verwandlung, bemalt und beklebt, versilbert und vergoldet. Irgendwie bleibt aber die Flasche Flasche. Der einzige Fotograf pflegt die sattsam bekannte Seitenansicht des Objekts, als Foto und als Fotogramm. Selbst die letzte verbliebene Malerin stellt vor ihr karnevaleskes Hochformat ein Exempel aus ihrem Freikontingent, portugiesischen Weißherbst.
Denselben himbeersiruproten Wein nutzt Erika Klagge, um zwei solcher Flaschen – in gegenläufiger Neigung sich (fast) berührend – in einem „Narzistischen Kuß“ zu vereinigen: Narzissus A, allerdings, ist nicht mehr ganz so voll wie Narzissus B. Gewissermaßen ein Kommentar zum Inhalt oder dem, was wir schon drin haben, und die schiefe Neigung unserer Selbstliebe, während die Flasche sich leert. Glaube ich, jedenfalls.
Ansonsten ist das Verstecken angesagt, in Holzkisten oder in der Keramiktüte. Nur einer Künstlerin gelingt es, das Objekt des Wettbewerbs zu befragen, bis es fremd wird. Sigrid Schulze vereinigt drei Flaschen (ob sie wirklich da sind, muß man ertasten) unter einer sorgsam genähten Haube eierfarbenen Baumwollstoffs, weich und schwer. „Mehr als zwei sind eine Gruppe“ (Reinhard Mey): so finden sie zusammen, als erweiterte Kathedrale, phallische Skatrunde; als die Kanne von Omas Buffet, im wuchernden Traum verwandelt. Der heiße Kaffee dampft derweil im Kühlfach.
Künstlerflaschen. Galerie lebendiges Museum, Lindower Straße 18, U-Bahnhof Wedding. Bis zum 18. Dezember, Di.–Fr. 15 bis 19 Uhr.
Es ist durchaus noch möglich, die nomadisierende Künstlerszene in Staunen zu versetzen, oder zumindest in Ratlosigkeit. Auf dem großen Donnerstagabenderöffnungsrundgang, den die Galerien in SO 36 zum Nutzen aller möglich machen, stolpert man im Hof der Muskauer Straße 24 in eine Ballettschule, dann findet man weiter oben die Galerie und darin fast nichts. Außer einem mit weißen Leintuch bezogenen Kasten, gut kniehoch, groß wie ein großer Tisch. Und, weiter hinten, in der eher flachen und schmalen Fabriketage, ein unregelmäßiges Blitzen an der Wand, das sich keiner erklären kann, denn die Fläche ist definitiv ein Rechteck (größer, höher als DINA4) wird aber ebenso definitiv nicht frontal projiziert.
Andreas Ginkel macht aus der Technik seiner Installation kein Geheimnis: der Elektronenblitz ist in die geöffnete Wand eingelassen, die Wand ist mit einer durchsichtigen Platte verschlossen und dann mehrmals gestrichen worden. So gibt es dann immer wieder diese unmäßige Überraschung, wenn das grelle Leuchten zurückfällt und man nichts sieht als die Struktur des Anstrichs. Das Seitenverhältnis der Illumination ist das des Tisch-Kastens (wenn man ihn als Fläche sieht, von oben), wobei Ginkel an vorherige Arbeiten anknüpft, die mit der Dualität von Artefakt und Repräsentation jonglieren. Er nähert sich gewissermaßen dem Thema des weißen Bildes auf der Ebene der Installation.
Der mit grauem Fußbodenlack gestrichene, neonerleuchtete Raum ist eine experimentelle Galerie, die zwischen Rainer Borgemeisters Küche (Eingang) und der darüber gelegenen Wohnung (Zugang über eine Wendeltreppe) als Passage existiert. Borgemeister – nicht der Künstler – hat an der Wand einen Zettel angebracht, auf dem es heißt: „LEBEN OHNE ARBEIT/ Ist die künstlerische Vision so eng, daß/ sie sich allein mit einem Künstlerleben/ abgibt/ oder ist sie – von einer künstlerischen/ Position aus – beschäftigt mit einem all-/ gemeinen Problem unserer Welt?“
Zum Glück ist Ginkels Arbeit nicht die Antwort auf diese Frage.
Andi Ginkel, Suspension. Bei Rainer Borgemeister, Telefon 6119093, nach Absprache Ulf Erdmann Ziegler
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