Wand und Boden: Selten schön und meistens schmerzbeladen
■ Kunst in Berlin jetzt: Sternberg, Krystufek, Bouabré, Bokić
Nichts geht über das Bild hinaus. Auch wenn sich der Neue Berliner Kunstverein mit einer kleinen Auswahl großformatiger Blickfänge begnügt, wird schon an der Machart der unscheinbar in die hinterste Ecke gehängten Bleistiftzeichnungen von Gerdi Sternberg der Prozeß des Malens offenbar. Auf einer Sechser-Serie aus dem Jahr 1986 nehmen die verdichtend übereinander gezeichneten Graphit-Striemen den Effekt der Ölbilder vorweg: Aus Farbe wird Masse, die Malerei bildet Material ab.
In ihrer vollen Größe von bis zu dreieinhalb Meter wirken die Tableaus wie eine uralte Treppenhausbemalung im Altbau, meistens ist alle Leuchtkraft von der Leinwand wieder abgewaschen worden, nur einmal bricht etwas Feuerrot hervor. Sternberg spielt mit der Erinnerung an die Hintergründe auf den Bildern alter Meister, irgendwo blitzen Rembrandts Erdtöne hervor. Doch in erster Linie wirken die Farben, als wären sie einem Alterungsprozeß anheimgegeben worden. Sie erodieren wie Stahl im stetigen Regen. Es könnten Sommerlandschaften sein, auch wenn manchmal orangene Töne auf spätimpressionistisch gelben Farbfeldern durchschimmern. Aber das ist auch nur eine Frage des Geschicks bei der Grundierung.
Bis 28.8., Kurfürstendamm 58; Mo u. Fr 12-18.30 Uhr; Di u. Do 12-20 Uhr; Sa 11-16 Uhr.
Wenn das keine Idole sind: Elke Krystufek hat Marilyn Monroe, Andy Warhol, den Vater und Selbstbildnisse gemalt; pastos, dickflüssig oder mit viel Wasser zum Teil auf Sofastoffe vom Flohmarkt geschwemmt. Es ist billig, schnell, schnodderig, rebellisch, akademisch problembewußt und ebenso anarchisch wieder davon abgelöst. Selten schön und meistens schmerzbeladen – eine Blitzkarriere in 33 Bildern. Die 23jährige Wienerin malt mit einer kaltschnäuzigen Abgeklärtheit, als hätten ihr Albert Oehlen oder Hochschullehrer Arnulf Rainer den Pinsel geführt, aber als Novizin im Diskurs will sie ihre Identität nicht um der wilden Meister willen preisgeben, schließlich ist das gemalte Leben kein Programm. Überdies muß man als Frau Malerei in Wien schon wegen der Tradition des aufgeladenen, phantasmagorischen Realismus eines Fuchs oder Brauer mit Vorsicht genießen, sonst verschwindet jede Kratzspur auf der Leinwand im Mythos entstellter Innerlichkeit.
Krystufek weicht vor der Wiener Wohlbefindlichkeit zurück und konzentriert sich auf formale Details. Aus dem Lessingschen Kritikfundus der „Laokoon“-Betrachtungen übernimmt sie die Frage nach dem fruchtbaren Augenblick und dessen Darstellung: Statt ihn aber festzuhalten, hat sie den Moment in eine Leere danach verwandelt, die Freude am Höhepunkt kippt in Ekel um, den das Lächeln auf ihren Bildern jetzt auslöst. Die Portraits zeigen eine Armada von verzerrten Lachern, die sich wie Katerstimmung ausbreiten. Auf einem Bild hat sie die dahinterstehende Idee im Vordergrund aufgeschrieben: „Die wahre Freiheit passiert im Kopf und im Herz / den Körper über das Hirn reformieren oder umgekehrt / Revolution jedenfalls, jeden Tag.“
Le principe de réalité, bis 28.8, Bruno Brunnet Fine Arts, Wilmersdorfer Straße 60/61, Mo-Fr 14-19 Uhr; Sa 11-14 Uhr.
Wendet man sich indessen den Beziehungen zur unmittelbaren Welt zu, sind deren Zeichen nicht weniger verschachtelt. Der Afrikaner Frédéric Bruly Bouabré hat fast sein ganzes Leben der Aufgabe gewidmet, la grande vérité in Bilder zu übersetzen, seitdem er am 11.3.1948 eine religiös gedeutete Sonnenvision erlebte. Auf beinahe 1.000 postkartengroßen Pappkartontafeln hält der entschiedene Nachfahre Carl von Linnés Anschauungsmaterial für die Nachgeborenen parat, systematisiert Handlungen, Gesten und Riten. Der „Zacro-Zepe“- Zyklus von 1990 erzählt zum Beispiel die Geschichte vom Krieger „Spinne-ohne-Hinterteil“, der wegen seiner flachen Rückseite von der Gemeinde gehänselt wird und sich nichts so sehnlichst wünscht wie eine standesgemäße Rundung. Erst nach langen tränenreichen Mühen und zahllosen Opferungen wird er vom Gott Camina erhört.
Wie Buchstaben fügen sich die Bilder zu einem aufklärerischem Alphabet zusammen. Etwas versteckt hängen in einer leicht zu übersehenden Nische ausschweifende Erkundungen in Sachen Sexualität. Bouabré zeigt alle möglichen Paarungsmodelle zwischen Schnecken, Fledermäusen, Elefanten und Mischwesen, nicht einmal Gottheiten bleiben von der höchsten aller Triebkräfte verschont. Die Männerglieder hängen zur Vereinfachung des Themas mehr symbolisch bis zum Knie, ebenso drastisch wie die riesige rotumrandete Körperöffnung im Zentrum der Frauenfiguren. Jeder Gegenstand der Darstellung ist jedoch in gleichem Maße Bestandteil einer unendlich anwachsenden Sprache, die sich im Wechselspiel mit den anderen Zeichen einstellt. Bei Bouabré tanzen die sonst übermächtigen Zeichen fröhlich im Kreis.
Bis 3.10.; Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10; Di-Do 14-18 Uhr, Fr-So 10-20 Uhr.
Die holzgeschnitzten Zierfiguren von Milivoje Bokić in der Galerie im Haus der Demokratie zeugen von einer folkloristischen Tradition, die im heutigen Jugoslawien wohl unwiederbringlich verlorengegangen ist. Die frühesten Exponate des 1934 geborenen Bildhauers stammen aus dem Jahr 1975, als Bokić in Mostar eine Ausstellung mit engelsgleichen Statuen bestritt. Inzwischen kennt man die Stadt nur noch von Pressefotos mit flehenden Kindern und hilflosen UN-Soldaten – eine Kluft, die von seiten der Kunst niemals überbrückt werden kann. Das macht auch die naiven Holzgötzen zu deprimierenden Trümmergestalten. Sie haben nur noch Vergangenheit.
Ganz und gar im Wechselspiel mit der Natur verhaftet, hat Bokić einmal damit begonnen, allerlei merkwürdige Kreaturen aus Wurzeln und Baumrinden zu befreien. Begleitet werden die versammelten Skulpturen von diversen Zeichnungen, auf denen der Jugoslawe wie auf Vexierbildern zahllose Kälber, Schweine und Hirsche in den Baumkronen und Verästelungen verborgen hält – ein pantheistischer Blick. Es scheint, als wolle Bokić lediglich das spröde Material bändigen, während er bei der Ausarbeitung auf seine ungebrochene Verbundenheit mit der Natur vertraut. Manchmal entstehen dabei jenseits allen Glaubens Effekte, die sich schon wieder im surrealen Innen abspielen. Eine Rinde, in die eine Bibelszene eingraviert ist, trägt auf der Außenseite das verschwommene Gesicht einer Fee, die von der Holzmaserung getarnt unfreiwillig und doch selbstverständlich Fragen adaptiert, die sich René Magritte bezüglich der Darstellung gestellt hat. Selbst wenn Bokić in Stein arbeitet, verläßt ihn sein harmonisches Phantasieleben nicht: Die Brustwarze einer gemeißelten Frauenfigur ist so detailreich nachgebildet wie der Abdruck einer in voller Blüte stehenden Pusteblume.
Bis 18.8.; Galerie im Haus der Demokratie, Friedrichstraße 165; täglich 12-20 Uhr
Harald Fricke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen