Wand und Boden: Ohne nähere emotionale Eigenschaften
■ Kunst in Berlin jetzt: Kunzmann, Böhme, Pitz, Berger
Schon im Titel der Ausstellung sorgt sich Thomas Kunzmann um die Vereinung von ästhetischem Feld und natürlichem Begehren: „painless areas inside female female female“ soll heißen, „daß alles nur für die Frauen und das Geld gemacht ist“, wie der Künstler charmant zu verstehen gibt. Zudem habe eine Frau spontan über die Galerie in Niederschönhausen gesagt, daß man im Garten Helden zeugen könne. Soweit will es der junge Mann gar nicht kommen lassen: Statt animierter Fleischbeschau gibt es auf Silberfolie gesiebdruckte Stills aus Warhols „Trash“ und „Flesh“ zu sehen. Joe Dallessandro aalt sich etwas unbegeistert mit zwei Hippiemädchen oder -jungs auf Matratzen, die im Film über das Stricherleben die Welt bedeuten sollen. Die Situation hat Thomas Kunzmann auf moderne Beziehungen übertragen und Ledercouch plus Freischwinger und gläsernen Beistelltisch fürs kommunikative Galerie-Ambiente in Szene gestellt, inklusive roter Auslegeware. Sozial, bürgernah und gar nicht mal abstrakt.
Quer übers Haus verteilt finden sich weitere Musterfälle aus dem Wünsche/Ängste-Reservoir. So wurden von der Kunzmann- Korporation Auflagendrucke hergestellt, die von Porno-Reklame bis zum radioaktiven GAU- Happening reichen. Wohl ist ihm dabei nicht, denn die wahre Kunst ist für Thomas Kunzmann nicht im Schockmodell der Wirklichkeit angesiedelt, da muß schon die göttliche Muse ein wenig mitküssen: „Die Menschen sind das, was ist; die Kunst ist das, was sein könnte.“ Würde man dem Orakel folgen – wie wäre es um eine Romantik bestellt, die Warhol in Erwartung einer besseren Popkultur zitiert? Doch der Galerist korrigiert: „Vielleicht war die Kunst, die bisher war, noch nicht die richtige.“ Solange kann man sich im Wartezimmer zum großen Glück trösten lassen.
bis 16.10.; Wewerka Galerie Berlin; Hohmeyerstraße 32; Mo-Fr 14-18.30 Uhr, Sa 11-14 Uhr
Bei Lothar Böhme kommt der Körper im Grunde nicht vor, auch wenn seine Ausstellung lapidar und dennoch programmatisch „Akt“ betitelt ist. Wenn hier der Mensch nackt in Erscheinung tritt, so umhüllt Böhme ihn düster gestikulierend mit einem Ausdruck depressiver Starre, zu der die verglühenden Rottöne passen. Auf manchen Bildern bleibt nur das Grau der Asche übrig. Die Figuren sind fetischhaft entstellt, als wären dem Maler in SM-Leder eingezwängte androgyne Wesen vor die Palette gelaufen. Ihre Haltung ist dabei zumeist geduldig leidend, die Gestaltung der fleischig aufgebrochenen Oberflächen gelungen. Scheinbar geht es Böhme ausschließlich um die Konstruktion des Körpers, ohne nähere emotionale Eigenschaften – quasi Akt abstrakt: ein Geflecht geordneter Glieder auf einer Fläche. Die wie Mumien in einen Kokon aus geschwungenen Pinselstrichen eingesponnenen Körper scheinen auf ihre Entfaltung zu warten, doch es ist eher eine Frage des Volumens und der Illusion. Böhme läßt den Körper verschwinden, indem er sich beim Netzwerk der Farbschichten vom Gegenstand entfernt. Das Subjekt wird zum Material einer bestimmten malerischen Verdichtung, zugleich aber substanzlos, wie es die Hervorhebung der jeweiligen Situation in den Bildtiteln ankündigt: „Akt mit angewinkeltem Arm“. Trotz der kühlen Teilnahmslosigkeit könnten einige grausige Darstellungen dem Splatter alle Ehre machen: Das Fleisch der „Liegenden“ von 1993 sieht besonders um die Brustwarzen herum aus, als hätte es zu lange im Römertopf geschmort.
Im Raum schräg gegenüber hat Hermann Pitz eine dokumentarische Installation aufgebaut: Probebühne ist das Modell von einem Modell für ein Modell der Anwendungsmöglichkeiten bildender Kunst heute – im Verhältnis also sehr viel Repräsentation, bei einer relativ zurückgenommenen Entfaltung der Ideen. Am Anfang standen ein städteplanerischer Entwurf aus Styropor und dessen verschiedene Varianten zur öffentlichen Projektion bei Pitz im Atelier, da war noch alles beisammen, wie ein Foto im Leuchtkasten dokumentiert. Mit der Zeit wurden diese Stücke auf der documenta IX, Münster und jetzt Berlin ausgestellt. Pitz dokumentiert diese Wandlung, indem er das jeweilige Umfeld und den ortsgebundenen Kontext mit integriert. Alle biografischen Daten der Installation wurden fein säuberlich auf kleine Anhänger geschrieben, die an einem Schaltbord den informativen Nukleus des ganzen Systems bilden. Doch selbst wenn ein weiteres Zertifikat sehr pedantisch mit dem Verzeichnis der Einzelteile (vier Photos, Objekte aus Holz, Glas, Papier, Zinn, Lupe auf Eisenstativ, etc.) die Veränderungen faktisch zusammenfaßt und als Zustandsbeschreibung objektiviert, bleibt Pitz die ideale Konstruktion der Situation verwehrt. Während die Arbeit „in zwei Etagen eines Gebäudes“ präsentiert werden sollte, hat die Neue Nationalgalerie nur einen Raum zur Verfügung gestellt – so wird die Probebühne mit den mehreren Ebenen zum Lehrsaal, die Idee einer zirkulären Architektur verschwindet, das Museum tritt hervor.
Bis 31.10., Potsdamer Straße 50; Di-Fr 9-17 Uhr; Sa/So 10-17 Uhr.
Im Boudoir legen die Frauen der „Queen Barbie Loge“ erste Hand an den Diskurs um Weiblichkeit, Sexualität und stellen unter anderem auch die Machtfrage. Ines Berger zeigt Handarbeiten für Mädchen, mittelschwer expressive Darstellungen von nackten Frauen und Haushaltsgeräten. Die „Frau mit Staubsauger“ sitzt neben ihrem Sauger, eine andere liegt auf dem Küchenfußboden und rührt mit dem Mixer im Leeren. Fast allen female models ist die Gleichgültigkeit ob ihres Treibens ins Gesicht geschrieben, dafür rotieren und wölben sich die Körper um so mehr. Das stereotyp inszenierte Dominanzverhältnis setzt sich in der hausbackenen Erotik fort, nur werden die Vorzeichen umgekehrt: Die Frau hat das Gerät fest im Griff. Der „Hand-Job“, auf den die Künstlerin Frauenaktivitäten noch immer reduziert sieht, soll mit der „perfekten Körperlichkeit“ dieser durchtrainierten Haushaltsmaschinen aus Fleisch und Blut korrespondieren. Stilsicher Julian Schnabel, David Salle im Clinch mit Kokoschka und frühem Baselitz zitierend, verknüpft Berger Sägen, Sauger oder Küchenquirle mit entsprechend vielen Körperrundungen, bis das Portrait tatsächlich zur Sex-Maschine wird. Leider gleiten die dazugehörigen Bildergeschichten von allmächtigen Befriedigungsträumen für Frauen ins Gefügige ab, das Sexbedürfnis wirkt weniger vital als melancholisch.
Bis 23.10. Brunnenstraße 192; Di-Fr 12-19 Uhr; Sa 22-3 Uhr.
Harald Fricke
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