Wand und Boden: Sublimer Beton
■ Kunst in Berlin jetzt: Günther Förg, Matten Vogel, Bruno Yvonnet
Anders, als vor einigen Tagen auf den vorderen Seiten der taz zu lesen war, ist Beton das sublime, erhabene Baumaterial schlechthin: Ohne Beton keine ästhetisch wie politisch revolutionäre Baukunst in unserem Jahrhundert.
„Architektur, Moskau 1923–1941“ benennt eine exemplarische historische Situation und ist zugleich der Titel einer Ausstellung aktueller Schwarzweißfotografien von Günther Förg bei Max Hetzler. Förg pinnt seine großformatigen Unikate dicht an dicht neben- und untereinander an die Wand, als ein Architekturfries, auf dem ganz unfeierlich die Ansichten der konstruktivistisch inszenierten materia prima präsent sind, wie sie nun im Zustand völliger Verwahrlosung auseinanderbröselt. Es ist die Utopie, die hier verwahrlost. Die in Ilja Golossows Zuev Club oder in Konstantin Melnikovs Rusakov Club in Beton gegossenen Ikonen der Moderne verrotten hier. Günther Förg fotografiert sie nicht in der strengen Methodik der Bechers oder ihrer Schüler. Seine Perspektive ist parteiisch, wenn er die Sichtweise Rodschenkos übernimmt und den erbärmlichen Zustand der Gebäude durch Zitieren des fotografischen revolutionären Pathos betont. Aber vom Mosselprom zeigt er genau die Seite, die keinen Aufschluß über das Gebäude gibt. Ebenso unerwartet trifft der Betrachter auch auf die Ansicht eines Säulengangdetails der Lenin-Bibliothek, mit dem diese Architektur der Stalinzeit 1941 zum Abschluß kam. So versteckt das Bild in Förgs Fotofries ist, so sehr fällt es auf. Man bemerkt, daß man zwar etwas über frühere Wettbewerbe weiß, den Entwurf von Leonindow 1927 oder den der Brüder Wessnin 1928, aber nichts über das real existierende Gebäude. Bei Förg tritt diese totalitäre Bauvision irritierender auf, als sie architekturhistorisch wahrgenommen wird.
Bis 27.5., Di.-Sa. 11-18 Uhr, Zimmerstr. 88, Mitte
Auch in der Galerie Vierte Etage „Architektur“, konkret „Best of Matten Vogel 1991–1994“. Matten Vogel baut nicht, er malt, druckt „Neubauten“ und entwirft „Gebäude“ und „Wand“ aus gelben Legos im Modell. Er hat sich dabei der „Architektur im Mittelmaß“ verschrieben. So heißt seine Bauzeitung von 20 Seiten Umfang, die im Februar 1994 zum Preis von 5 Mark käuflich zu erwerben war und nun an den Wänden der Galerie aushängt. „Architektur im Mittelmaß“ ist kein eindeutiger Sarkasmus, sondern notwendiges, zweideutiges Programm für eine bestimmte Sorte Gebäude – das Einfamilienhaus samt Garage. Auf quadratisch linierten, blaßgrünen oder blaßblauen Bildtafeln sind ziemlich genau in der Mitte je verschiedene Haus- und Garagentypen plaziert. Dieses Motiv, das zwischen Architekturzeichnung und Werbegrafik der Immobilienbranche angesiedelt ist, gibt es auch auf einer Plastikplane, oder auf einer Baustellentafel: „Hier entsteht 1 Garage aus der Serie Matten Vogel Architektur und Farbe.“ Die Serie erforscht in 28 Teilen das Mittelmaß, das in Fernsehwerbespots als „der Zukunft ein Zuhause“ besungen wird. Harmlos ist diese Sache nicht. Das zeigt Matten Vogel auf raffinierte Weise. Le Corbusier meinte jedenfalls, mit dem Satz „Wenn ich mein Haus bauen werde ...“, sei man schon ein Fall für den Psychiater.
Bis 20.5., Mi.-Sa. 16-19 Uhr, Bregenzer Str. 10, Wilmersdorf
Das Institut Français, die Galerie Arndt und Partner und die Kunst-Werke Berlin haben sich aufeinandergeschichtet, um „Cordon Bleu“ zu kreieren, eine Schau von vier französischen Künstlern.
Im Institut Français zeigt Bruno Yvonnet aus Lyon dunkelbraune, fast monochrom gemalte „Details“ nach Zeitungsfotos, die er an dem Tag, der dem Bild den Titel gibt, auswählt. Er arbeitet mit Teer auf Gips, die wenigen Farbabstufungen, die Dunkelheit und der Glanz der Bilder verlangen, daß man sich ihnen bedachtsam nähert, um zu erkennen, welche Details den Künstler interessieren.
Man sieht Landschaften und Stadtansichten im Hintergrund und im Vordergrund perspektivisch angeschnittene Personen, die angestrengt oder vielleicht entsetzt auf etwas zu lauschen, die Hände an den Ohren. Dann liegt ein Kopf müde auf einer Tischplatte mit zwei Rosen. In einem weiteren Bild stützen Menschen ihren Kopf in die Hand, und hinter ihnen steht ein großer Baum in einer Art Schattenriß. „Et in arcadia ego“, auch der Tod ist am paradiesischen Ort, ergänzt sich der Titel, und wirklich scheint das Grauen, das Yvonnet aus den Fotos ausblendet, im Gegensatz von Figur und Natur im Gemälde doch wieder anwesend zu sein.
Bis 18.5., Mo.-Fr. 11-19 Uhr, Unter den Linden 37, Mitte
Brigitte Werneburg
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