Wand und Boden: Die Titten der Männer
■ Kunst in Berlin jetzt: Ausstellungen mit Werken von Will McBride, Ingmar Alge, La Tscherniak
Die Handhabung der Kamera galt ihm immer als vorläufiges und provisorisches Handeln „für etwas, das später kommen sollte“. Vielleicht muß deshalb der letzte Satz in seiner fotografischen Autobiographie „I, Will McBride“ lauten: „Ich mache alle meine Fotos mit der Leica.“ Die klassische Reporterkamera ermöglicht jedenfalls am leichtesten die ebenso beiläufigen wie eindrücklichen Fotografien des privaten Alltags, dem Will McBride von Beginn seiner Karriere an auf der Spur war und dem er noch immer nachspürt – wenn auch in reduziertem Maße. Die Präsentation des voluminösen Bandes war argus fotokunst Anlaß, Will McBrides Arbeiten jetzt erneut vorzustellen. Neben den bekannten Bildern aus twen- und Quick-Zeiten, werden zum erstenmal Schwarzweißfotografien gezeigt, die McBride 1964 von Romy Schneider in Paris machte, und zum erstenmal werden auch seine Farbfotografien gezeigt. Einige stammen aus den späten 60er Jahren, andere zeigen „Ricky und seine Freunde“ sowie die „Jugend in Frankfurt am Main“ und entstanden zwischen 1985 und 1995. Es ist erstaunlich, wie sehr die Farbe in der Fotografie die Zeitwahrnehmung verändert. Auf den ersten Blick könnten Will McBrides Farbfotos aus den 60er Jahren auch aus dem letzten Jahr sein. Wenn die siebziger und achtziger Jahre nicht die Zeit des Fotografen Will McBride waren, dann nicht nur deshalb, weil er sich in dieser Zeit als Künstler, genauer: als Bildhauer verstanden wissen wollte. Es bedurfte wohl auch Nan Goldins, vor allem aber Wolfgang Tillmans, um McBrides grandiose, gleichwohl auch heillos romantische Generationenfotografie plötzlich wieder hoch aktuell erscheinen zu lassen. Die jugendliche Cliquenwirtschaft von heute unterscheidet sich dann gar nicht so sehr von der damals. Selbst die junge Romy Schneider scheint weniger eine der damals ziellos Wandernden zu sein als vielmehr eine der heutigen. McBrides frühe Porträtfotografie mit den Mitteln der professionellen Reportagefotografie zeigt die Porträtierten immer im Gestus körperlicher Kommunikation. Die Jugendlichen umarmen ihre Freundinnen und balgen sich untereinander. Diese erotisch aufgeladenen Szenen wurden schließlich in twen zur „Make love, not war-Bildformel. Doch nachdem das Steppenwolf-Fanzine eingestellt wurde, stellte sich heraus, daß diese Bildformel McBrides Lebensformel ist. Nun wurden schöne pubertierende Jungen zum Symbol seiner Hoffnungen. Isoliert gestellt, im Detailausschnitt fotografiert, in Bronze zur Skulptur gegossen und wieder als solche fotografiert, werden sie zum künstlerischen Fetischobjekt. Will McBrides rückhaltlos offene Selbstbeschreibung gibt dazu nähere Auskunft.
Bis 31.1., Marienstr. 25, Mi.–So. 15–18 Uhr, Sophienstr. 32, Di.–So. 12–19 Uhr
Statt der Leica benutzt Ingmar Alge, 27jähriger Künstler aus Dornbirn/Vorarlberg schon die digitale Kamera, um seine Alltagseindrücke, die Szenen und Bilder aus der unspektakulären Welt der Vorstädte und Einkaufszentren mit ihren anonymem Passanten, aufzunehmen. Da er nicht unbedingt die beste Reproduktionsqualität braucht beziehungsweise die Pixelpark- Ästhetik nutzen kann, spricht wenig gegen den schnellen, einheitlichen Weiterverarbeitungsprozeß am Computer. Mit seiner Hilfe reduziert Alge die einzelnen Elemente im Bild, er entleert es und formatiert es in eine strikte Schwarzweißgrafik um. Vom Plotterausdruck werden Schablonen angefertigt, die er auf hochglänzende Aluminiumplatten legt, die er anschließend mit schwarzem Lack besprüht. Am besten sind die Resultate, das ist jetzt in der Galerie Vierte Etage zu sehen, wenn die Belanglosigkeit des Gewöhnlichen ins Bild kommt, die Beliebigkeit moderner Urbanität. „Parkplatz“ zum Beispiel ist ein großartiges Bild, dessen wenige Bildelemente – Straßenleuchten und Papierkörbe – sich tief in den Bildraum hinein staffeln. Auch die Rückenfigur des mobil Telefonierenden, der ins Gespräch versunken mit dem Fuß auf dem Boden vor sich hin kritzelt, funktioniert wunderbar. Er ist eine nachgerade emblematische Figur der 90er Jahre. Adäquat für eine Schildermalerei, die uns aluminiumblank den Spiegel vorhält. Wo die Sache nicht funktioniert, ist das Porträt. Sowohl die „Kids“ wie „Mario“ sehen einfach nur kitschig aus. Das Alu ist zu schön, um an den Pop des Plakatdrucks der 60er Jahre anzuschließen. Der war schmuddeliger und zeigte Che.
Bis 17.1., Bregenzer Straße 10, Di.–Fr. 15–19, Sa. 14–17 Uhr
„Titten“ ist die Fotoausstellung im Anderen Ufer betitelt, und damit führt einen La Tscherniak zunächst einmal auf die falsche Spur. Daß auch Männer Titten haben, weiß man nur, wenn einem klar ist, daß mann bei Frauen von Möpsen spricht. Aber wie auch immer: Die 26jährige Fotografin aus Riga hat sich die Männerbrust als Motiv vorgeknöpft. Das geht natürlich nicht ohne Bauch – Waschbrettbauch oder Waschbärbauch ist da die Frage –, den man ja eher mit dem Mann assoziiert. Vielleicht ist daher das Foto, das eindeutig am meisten sexy ist, das von Gerhard Hoffmann, wie er sein T-Shirt über den Bauch hochzieht, um eine Brustwarze zu entblößen. Das Bild hat Charme und, indem es eine standardisierte weibliche Erotikpose zitiert, auch entschieden Witz. Frech ist auch der Bananenmann, ein bis auf seinen Goatie rundum haarloser Mensch, der locker und lässig ein Bündel Bananen anstelle seines Schwanzes zeigt.
Das Foto ist auch ein höchst kluges Bild. Denn wenn es schon um Titten geht, dann erinnert man sich natürlich all der Äpfel, die Künstler seit je den armen Frauen in metaphorischer Absicht aufdrängten. Bananen erscheinen da als durchaus adäquates maskulines Äquivalent. Auch wie sich in einem anderen Foto die Brustwarzen in der schwarzen Sonnenbrille ihres Protagonisten quasi vergrößert wiederfinden, ist sehr gut gesehen. Und selbst ihre schwülstigen Großaufnahmen der Männerbrüste haben am Ende doch mehr Sex als Erotik.
Bis 2.4., tägl. 11–3 Uhr, Hauptstraße 157 Brigitte Werneburg
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