Wand und Boden: Specht mit Holzkamera
■ Kunst in Berlin jetzt: Sean Snyder, Georg Winter, Katharina Sieverding
Es ist immer das gleiche: Der Roadrunner ist für den Koyoten einfach zu schnell. Um ihn zu fangen, benutzt er also Tricks, die den superschnellen Vogel aber nicht beeindrucken. In dem kurzen Videoloop, den Sean Snyder in der Galerie Neu zeigt, versucht es der Coyote mit einer optischen Täuschung: Eine auf die Wand gemalte Landstraße soll den Vogel anlocken, damit er an ihr zerschellt. Natürlich rast das Tier mittendurch, die Kulisse stürzt ein und reißt eine ganze Reihe Telegrafenmasten um. Unter einem von ihnen steht der Coyote und wird in den Wüstenboden gerammt.
Was dem Europäer die Fabeln des Äsop oder LaRochefoucault, sind für Amerikaner die Bugs- Bunny-Comics. Die Moral ist dabei jedoch sehr unterschieden: Während hier auf die Vernunft der Tiere gesetzt wird, regiert im Cartoon der Schnellere, Gewitztere oder einfach bloß die Ungerechtigkeit. Statt die bestehende menschliche Ordnung zu wiederholen, wird sie aufgehoben. Aus dieser Perspektive leuchtet auch die Ironie unmittelbar ein, mit der der 1972 geborene Snyder seine Beobachtungen im Stadtraum auf Foto/Textbahnen dokumentiert. Aufnahmen von verödeten Sportplätzen ergänzen sich mit improvisierten Skateboardbahnen zu einem Kontrapunkt in Sachen öffentlicher Raum. Offenbar gibt es eine Abneigung gegen staatliche Einrichtungen, die mit einer anonymen Kreativität korreliert. Daraus entstehen Spannungspole, die Snyder je nach Situation wortlos aufspießt oder mit knappen Statements kommentiert. Der Bezug bleibt durch die Kargheit der grob gerasterten Copy- Art in einer Balance, die dem Gegenstand angemessen ist. Insofern sind Snyders Analysen ganz pragmatisch Kritik und Leitbild zugleich.
Bis 24.10., Di–Fr 14–-19, Sa 12–16 Uhr, Charitéstraße 3
Es geht aber auch viel komplizierter: Georg Winter arbeitet „an einem etymologisch grundierten Kulturbegriff in Gestalt von Versuchsanordnungen und Feldforschungsprogrammen“, heißt es in einem Katalog. Mit anderen Worten: als Sozialwissenschaftler hätte der Künstler gut auf die letzte documenta gepaßt. Statt dessen waren die Objekte von Winter bei der Foto- Triennale in Esslingen zu sehen, und weil er zur Zeit Stipendiat der Stuttgarter Akademie Schloß Solitüde ist, die sich mit dem Bethanien wiederum einen Raum in Mitte teilt, sind sie nun bei Kreutzer & Stutzig ausgestellt. Dort liegen ein Dutzend schwarze Gebilde auf einem Regal, gegenüber steht eine Liege und ein Beistelltisch mit formschönen Sandsäcken. Winters Ukiyo Camera Systems dreht sich um die Bestimmung des Wesens der Fotografie. Für Winter entfremdet der Vorgang des Fotografierens immer mehr vom Objekt der Wahrnehmung — der zwischengeschaltete Apparat wird wichtiger als jeder sinnliche Kontakt mit dem Gegenstand. Also macht Winter die Kamera selbst zum Gegenstand der Betrachtung, indem er diverse Modelle aus Holz nachbaut und auf das reine Oberflächendesign reduziert. Plötzlich kann man die Funktion der abstrakten schwarzen Würfel kaum mehr erkennen, der Apparat wird zu einer mysteriösen Black box. Erst im direkten Umgang mit den fremdartigen Objekten stellt sich beim Hantieren mit der Pseudokamera ein Gefühl für das Ritual des Fotografierens wieder ein. Ohne Sucher und Objektiv begreift man, daß der fotografische Akt eben auch eine physische Angelegenheit ist, die zwar nicht das Ergebnis, aber doch den Prozeß prägt. Solcherart sehphilosophisch verunsichert denkt man gerade in Berlin an den wilden Aktivisten Christian Specht, der früher als „Mann mit der Holzkamera“ auf Demos ging. Vielleicht kommt man aber auch nur deshalb auf diese abwegige Idee, weil morgen gewählt wird.
Bis 10.10., Mi–Fr 15–19, Sa 12–17 Uhr, Tucholskystraße 36.
BeiKatharina Sieverding sind die Fotos alle echt, in Farbe und bis zu vier Meter hoch. In breiten Stahlrahmen hängt eine Auswahl aus der Sammlung der Deutschen Bank in der Filiale des Deutschen Guggenheim. Sieverding war „Künstlerin im Geschäftsjahr 1997“, deshalb touren ihre Arbeiten jetzt alle paar Wochen von Bank zu Bank. Daß die Berliner Ausstellung in die Zeit der Kunstmesse und der nächsten Montag beginnenden berlin biennale fällt, mag Zufall sein. Die überall in der Stadt zu sehenden Poster mit Sieverdings Gesicht fügen sich jedenfalls gut in den Trend zum Kunstevent.
Ansehen sollte man sich die Fotografien trotzdem. Selten wird die Macht der Repräsentation, die dem Medium innewohnt, so dermaßen ausgereizt wie in den Arbeiten der 1944 in Prag geborenen Wahl-Düsseldorferin. Unterkühlt lächeln ihre überdimensionalen Porträts neben kleineren Selbstbildnissen aus bald 30 Jahren von den Wänden. Mal trägt sie die Haare streng nach hinten gekämmt, mal liegt ein bordeauxfarbener Schleier aus Licht auf den scharfen Wangenknochen. Der kathedralenhafte Bau macht die Inszenierung noch unheimlicher. Obwohl man immer wieder auf das Gesicht der Künstlerin starrt, scheint sie sich als reale Person zu entziehen. Übrig bleibt eine überlebensgroße Maske, mit der Karola Grässlin „Identität als Individualität und kollektives Individuum“ verbindet. Dieser Spagat aber läßt in der Monumentalität den Menschen als Monster erscheinen. Nicht von ungefähr erinnern die in Hiroshima zum Gedenken der Atombombenopfer massenhaft versammelten Japaner an rotglühende Lava. Gerne würde Sieverding diese Metaphern zusammendenken, fügt Rudolf Schmitz im Katalog an, denn „das Bild ist übertragbar, kann als Denkmodell verstanden werden für die unberechenbaren, aber auch hoffnungsvollen Metamorphosen menschlicher Gesellschaft“. Den Vorstand der Deutschen Bank hat der Entwurf augenscheinlich überzeugt.
Bis 4.10., täglich 11–20 Uhr, Unter den Linden 13–15. Harald Fricke
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