Walser-Verfilmung: Was für ein Kitsch
Rainer Kaufmann hat Martin Walsers Novelle "Ein fliehendes Pferd" verfilmt. Katja Riemann gibt die darbende Ehefrau, Ulrich Tukur den großen Angeber.
Bücher von Martin Walser kann man nicht verfilmen, heißt es. Das hat mit Walsers Sprachlust und Wortschöpfungsfreude zu tun, aber auch damit, dass seine Romane nicht besonders handlungsintensiv sind. Die Dramatik ergibt sich weniger aus dem äußeren Geschehen als aus der psychologisch genauen Zeichnung der Figuren und ihren inneren Bewegungen. Das ist nur schwer in Bilder zu übersetzen. Bisherige Verfilmungen - von Peter Patzaks "Das Einhorn" (1977) über Peter Beauvais "Ein fliehendes Pferd" aus dem Jahr 1986 bis zu der von Diethard Klante kürzlich zur Edelschnulze zurechtgegelten Fernsehfassung von "Ohne Einander" - bestärkten die Skepsis. Nun nahm Regisseur Rainer Kaufmann einen neuen Anlauf, probierte es wieder einmal mit "Ein fliehendes Pferd", und siehe da: Es geht. Jedenfalls ist es recht vergnüglich anzuschauen.
Herausgekommen ist ein Spiel-Film in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes, der von der Spielfreude eines großartig harmonierenden Ensembles lebt. Ulrich Noethen und Katja Riemann als das an sich selbst ermattete Ehepaar Helmut und Sabine, Ulrich Tukur als nervtötender Angeber Klaus Buch und Petra Schmidt-Schaller als dessen jugendfrische Geliebte Helene agieren wie auf dem Theater: ein Kammerspiel im Freien. Ihre Bühne ist die Landschaft am Ufer des Bodensees, ihre Kulisse der See und der Himmel, der zum Höhepunkt der Ereignisse naturgemäß ein gewaltiges Gewitter produziert. Wie in einer klassischen Novelle spiegelt die Natur all die gestauten Leidenschaften, die verdrängten Frustrationen, die verschüttete Lust und die bohrende Aggressivität, die sich bis dahin der dezenten Mimik der Darsteller ablesen ließ.
Helmut und Sabine verbringen ihren Urlaub seit 16 Jahren am Bodensee. Ihre Partnerschaft und ihr ganzes Leben könnten ein paar neue Herausforderungen gut vertragen. Katja Riemann scheint diese Rolle der sehnsuchtsvoll Darbenden geradezu auf den Leib geschrieben. Während Sabine dem in seiner Penetranz nicht ganz uncharmanten Klaus Buch erliegt, fühlt sich Helmut zu der nymphenhaften Helene hingezogen. Sie verkörpert den Typus der mädchenhaften Frau, die Männer verrückt macht und dabei so tut, als ob sie nichts davon bemerke. "Du kennst dich gut aus mit Vögeln", sagt sie und dergleichen schlichte Scherze mehr, als der Vogelkundler Helmut sie in seine geheime Welt der Naturbeobachtung einführt. Als er sich aber beim Tanzen an sie zu drängen versucht, weist sie ihn mit der Bemerkung "Ich mache mir eigentlich nichts aus Sex" zurück. Zuvor hatte sie - gelernte Pilates-Trainerin - ihm allerdings seinen verspannten Rücken massiert und ihm dabei auch gleich noch die auftretende Erektion wegmassiert.
In solchen Momenten kippt der Film aus der Beziehungstragödie ins Komödienhafte weg. Gegen Scherz und Frohsinn wäre nichts einzuwenden, wenn das nicht auf Kosten der Konfliktschärfe ginge. Die Midlife-Krise, wie Rainer Kaufmann sie zeigt, bleibt dann doch eher harmlos und beschränkt sich auf die üblichen Klischees: kein Sex mehr, ewig der selbe Alltag und allgemeine Ermattung. Dass mehr daraus wird, dass wenigstens für Momente die Angst vor einer ganz und gar verfehlten Existenz aufblitzt, ist in erster Linie der Intensität der Schauspieler zu danken.
Der Film geht einigermaßen frei mit der literarischen Vorlage um. Er transportiert sie aus den 70er-Jahren in die Gegenwart, erfindet bei Bedarf Szenen und Motive dazu - so etwa Helmuts frühmorgendliche Vogelbeobachtungen am See. Das war möglich, weil Walser den Text freigab und geradezu dazu aufforderte, ihn als Steinbruch zu behandeln. Völlig missraten ist allerdings der neue Schluss, der sich wie ein Epilog anschließt.
Nach den dramatischen Ereignissen, als Klaus Buch beim Segeln mit Helmut im sturmgepeitschten See untergeht, kommt es endlich zur großen Auseinandersetzung zwischen Helmut und Sabine, die an der Unschuld ihres Mannes zweifelt. Jetzt endlich reden sie Klartext miteinander und können nach einer vernichtenden Auseinandersetzung eigentlich nur noch getrennte Wege gehen. Sabine schwimmt im Zorn davon, nur weg, hinüber in die Schweiz. Doch Helmut, der das Wasser bis dahin standhaft scheute, schwimmt ihr hinterher. Im Schlussbild klammern sie sich in der Mitte des Sees an einen treibenden Baum und blicken gemeinsam ins Abendrot. Vorwärts, ins Offene. Musik. Abblende. Was für ein Kitsch. Bis dahin aber kann man sich "Ein fliehendes Pferd" ganz gut anschauen.
"Ein fliehendes Pferd". Regie: Rainer Kaufmann. Mit Katja Riemann, Ulrich Noethen, Ulrich Tukur u. a., Deutschland 2007, 96 Min
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