■ Waigel lehnt den Kompromiß der Länderregierungen ab: Noch nicht das letzte Wort
Die Reaktion der Bundesregierung auf die Vorschläge der Länder war ganz von der Art, die zu erwarten war. Sie folgt einmal mehr dem Muster des Schwarzen-Peter-Spiels, das in den Gesprächen über den Solidarpakt schnell und gründlich zur schlechten Gewohnheit geworden ist. Die Beteiligten pochen auf ihre eigenen Interessen und schieben ansonsten die Verantwortung an die jeweils anderen. Üblich ist also genau das Gegenteil dessen, was ein Solidarpakt eigentlich verlangen würde: die angestammte Interessenlage zu überprüfen, mit Blick auf die neue Priorität, das Gefälle zwischen Ost und West in überschaubaren Zeiträumen abzubauen. Doch diesmal wird das Nein von Theo Waigel nicht das letzte Wort der Bundesregierung sein können.
Die Länder nämlich haben in Potsdam das dringend überfällige Beispiel dafür geliefert, daß es vielleicht doch anders gehen könnte. Worauf sie sich geeinigt haben, ist dabei fast zweitrangig. Die Vorschläge werden die Nagelprobe der Kanzlergespräche in keinem Fall unverändert überstehen. Die verlangten Mehranteile für die Länder an der Umsatzsteuer etwa muten durchaus als Fortsetzung der gewohnten Schieberei an, sie sind Verhandlungsmasse. Aber die Ministerpräsidenten wollten sich einigen, und wenn sie sich nur unter dem Druck der Waigel-Pläne dazu aufraffen konnten, dann mindert das den politischen Wert des Potsdamer Treffens nicht.
Die sechzehn Bundesländer unter ein gemeinsames Dach zu bringen, hieß zunächst einmal, Parteigrenzen zu überspringen. Die Kluft zwischen dem westlichen Interesse an Besitzstandswahrung und dem östlichen an Aufbau ist zudem viel tiefer, als die zwischen armen und reichen westlichen Ländern jemals gewesen ist. Wenn die sechzehn sich zu einem Kompromiß durchringen konnten, dann deshalb, weil sie ein gemeinsames Interesse entdeckt haben. Die Länder sollen auch in der neuen Bundesrepublik stark bleiben, so das gemeinsame Credo, für das Ost- wie Westländer über ihre Schatten gesprungen sind. Die Ostländer wollen sich nicht auf Dauer darauf verlassen, sich mit Hilfe des Bundes gegen die alten durchzusetzen. Vor allem Kurt Biedenkopf hat daraufhingearbeitet, daß im Osten selbständige Bundesländer agieren, statt eines Notstandgebiets, das immer wieder auf den Tropf der Bundesmittel angewiesen ist. Die alten Länder sehen sehr zögerlich ein, daß sie etwas geben müssen, weil der Bund am längeren Hebel sitzt und die Länder gegeneinander ausspielen kann. Teile und herrsche, nach diesem Prinzip hat die Bundesregierung die Konflikte zwischen Ost und West bisher zu moderieren versucht. Die Länder versuchen es mit einem neuen Vorsatz: Wenn alle geben, können vielleicht auch alle gewinnen. Tissy Bruns
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